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Mitten in der Woche

Der 1. FC Dynamo Dresden zwischen Hoffnung und Absturz

  • Lesedauer: 5 Min.

weggeht“, sagt der ehemalige Postler, „dann ist es vorbei mit Dresden. Dann zieht der sein Geld zurück. Das Grundübel war doch sein Vorgänger, der Ziegenbalg, und der Kluge. Der soll sogar eine hohe Abfindung bekommen haben.“ Beifälliges Nicken. Dann sagt einer aus der Runde: „Jetzt spielt der Minge auch mit. Das soll er gegen Köln am Sonnabend am besten auch mal machen.“ „Hör doch auf, das wird doch auch nichts mehr“, wird er gekontert.

Unter den Kibitzen in der Lennestraße auch eine Frau. Die 32jährige Katrin Alschner, Sachbearbeiterin bei der städtischen Vermessung, hat ihren achtjährigen Sohn bei Dynamo. Heute schaut sie das erstemal zu, wie die Dynamos trainieren. „Bei der Dramatik in der Tabelle ist man doch angerührt“, kleidet sie die mißliche Lage der Dresdner in sanften Ausdruck. Warum sie so schlecht dastehen, könne sie nicht sagen. „Es gibt ja immer Kritik am Vorstand und dem Herrn Otto“, sagt mein Mann.

Das Training ist im vollen Gange. Minge hat vier Gruppen gebildet. Zwei spielen im Kleinfeld auf Tore, zwei spielen nur um den Ball. Zum Abschluß werden die großen Tore zurechtgerückt. Ein richtiges Spiel steht an. Beide Teams sind mit Laune bei der Sache. Die mit den gelben Lätzchen ebenso wie die anderen. Von deprimierter Stimmung keine Spur Nach 110 Minuten dürfen die Profis duschen.

Für Hans-Uwe Pilz war das schon eine „lange Einheit“ Seit der Ralf der erste Trainer ist, gab es am Montag den ersten freien Tag. Hat Minge denn als ehemaliger Spieler überhaupt Respekt? Pilz: „Ja, den hat er. Die Jüngeren sagen Sie zu ihm. Oder umgehen das mit .Trainer' “ Natürlich denken alle an das nächste Spiel gegen Köln. Übereinstimmender Tenor: zwei Punkte und die Bundesliga bliebe in Sicht. Pilz sieht einen kleinen Vorteil: „Da sie uns schon abgeschrieben haben^ können wir gelöster spielen.“

Wäre Florian Weichert in Rostock geblieben, könnte er jetzt auf die Bundesliga hoffen. „Ich freue mich sehr über Hansa. Sie hätten es verdient, hoch zu kommen.“ Und Dresden? „Klar ist für mich, daß ein Punkt gegen Köln nicht reicht. Es wird sehr, sehr schwer.

Aber noch ist vom Dresdner Zug kein Wagen abgerissen.“

Von den drei Zugängen ist nur Herbert Waas zugegen, den Minge aber bei den Spielen auf der Bank oder Tribüne schmoren läßt. „Ich bin nicht zufrieden, will unbedingt spielen. Es geht nur durch gute Trainingsleistungen.“ Warum Andersen und Sassen nicht da waren, weiß er nicht. Ralf Minge sagt: „Andersen krank, Sassen krank.“ Beide sind wohl mehr psychisch krank. Viel Spielraum für Mutmaßungen.

Michael Spies, der Elfmeter-Sündenbock vom letzten 60er Spiel, befand, daß ihn von der Mannschaft keiner „fertiggemacht“ hätte. „Alle haben mich aufgemuntert. Daran zeigt sich doch, daß wir noch eine Mannschaft sind.“ Natürlich weiß er, daß die mitgereisten Fans „auf mich stinksauer waren“

Der Schwede Johnny Ekström weiß noch nicht, ob er seinen Vertrag bis 1996 erfüllt. Der drohende Abstieg würde mit Sicherheit tiefe Breschen in das Mannschaftsgefüge schlagen. Selbst Jens Jeremies (21), der mit 12 Jahren von WAMA Görlitz an die KJS in Dresden kam und als Vertragsamateur am letzten Sonnabend in München sein erstes Bundesligaspiel bestritt, ist sich nicht sicher, ob er in Dresden bleibt. „Noch hat mir keiner etwas angeboten.“ Als Junge war Dynamo einmal sein Traumverein, Dörner und Kreische seine Idole.

Sammer sen. antwortet so: „Nur Ralf Minge.“ Fragender Blick. „Ja, er ist der Einzelkämpfer und muß durchziehen. Er muß alle Kompetenzen haben.“ Wieder fragender Blick. „Nur das ist es.“ Sammer bleibt dem Frager gegenüber skeptisch. „Der Minge mußte was machen. Das ist nicht immer populär Es ist alles richtig, was er macht.“ Und wie zur Bekräftigung: „Das ist meine persönliche Meinung.“

Und der Trainer selbst, wie fühlt er sich nach den sportlichen Nackenschlägen? „Wenn man nicht auf der Sonnenseite ist, hinterläßt das Spuren. Der Stachel der Enttäuschung sitzt tief.“ Noch ein Fünkchen Hoffnung? „Ich bin vom Naturell so, daß ich nie aufgebe. Wer nicht mehr kämpft, hat schon verloren.“ Und Minge will noch kämpfen. Das Beispiel Freiburg aus dem letzten Jahr nennt er nicht. Daran ziehen sich jetzt aber die Spieler hoch. Die Breisgauer waren im Frühjahr des letzten Jahres mit vier Punkten Rückstand bei nur noch drei ausstehenden Spielen eigentlich schon abgestiegen und retteten sich dennoch.

Im Neubaugebiet Reick im Osten Dresdens hat Cornelia Minge in der Walter-Arnold-Straße die Boutique MINGE-MODEN. Cornelia Minge, eine Brünette, ist bei jedem Heimspiel dabei. Jetzt leidet sie mit ihrem Mann mit. Frauen denken real. „Das Umfeld ist hektisch. Die Mannschaft scheint sich schon aufgegeben zu haben. Das Schlimme ist, wenn

hier die Bundesliga-Lichter ausgehen, weiß keiner, was danach kommt. Das ist wie ein schwarzes Loch.“ Der Ralf schläft kaum noch. „Er leidet. Nicht so sehr wegen der Mannschaft oder des Präsidiums, er leidet des Vereins wegen. Dynamo Dresden, das war und ist sein ein und alles.“

Arbeitssorgen um ihren Mann braucht sie sich nicht zu machen, denn Präsident Rolf-Jürgen Otto erklärte gegenüber ND: „Ralf Minge bleibt in jeder Liga der Trainer von Dynamo Dresden.“ Der Bauunternehmer steht derzeit schwer unter Beschüß. „Die einen sagen, ich bin Kapitalist, die anderen sagen, ich bin Kommunist. Genau die Mitte ist richtig.“ Was immer das auch sein mag.

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