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  • Kultur
  • „Feensee“ - Ballettpremiere in der Staatsoper Berlin

Griff in die Mottenkiste

  • Gunter Gort
  • Lesedauer: 3 Min.

Man traut seinen Augen nicht, als der Vorhang hoch geht und den Blick auf ein imposantes Alpenpanorama freigibt. Naturalistisch, wie vom Pinsel eines Heimatmalers hingekleckst. Und als dann noch an Seilen Ballerinen in den Bühnenhimmel gehievt werden, ist man schockiert. Nein, nicht nach Oberammergau ist man gebeten, sondern in die Staatsoper Unter den Linden, um der Ausgrabung eines zu Recht vergessenen Balletts beizuwohnen - „Le Lac des Fees“

Der Franzose Pierre Lacotte betätigte sich „archäologisch“ und hat das nach dem Märchen vom verlorenen Schleier von Filippo Taglioni zur Musik Daniel Francois Aubers geschaffene romantische Ballett ausgebuddelt. Das erweist sich als tiefer Griff in die Mottenkiste, der Mühe nicht wert. Romantische Ballette von beachtlicher Qualität sind in hinreichender Zahl überliefert. Filippo Taglioni, einer der erfolgreichsten Choreographen des 19 Jahrhunderts, schrieb im Auftrag von Zar Nikolaus I.

für das Petersburger Theater das Ballett und sorgte so dafür, daß seine Tochter Marie in der Rolle der Fee Ze'ila Triumphe feiern konnte. Aber seither ist viel Wasser die Newa heruntergeflossen.

Der Restaurator Lacotte hat zu dem Märchenstoff von der Fee (Steffi Scherzer), dem unglücklich in sie verliebten Studenten (Oliver Matz), dem bösen Grafen (Torsten Händler) und der intriganten Verlobten des Studenten (Victoria Lahiguera) keine Distanz gefunden. Er schwelgt in kitschiger Phantasie und im Austattungsrausch - die Kostüme von ihm sind allerdings eine Augenweide. Wer bereit ist, den Kopf an der Garderobe abzugeben, kommt bei dieser Unterhaltungsshow auf seine Kosten. Wenn man Solisten wie die Tänzer der Hauptpartien zur Verfügung hat - auch das Corps de ballet hatte schöne Momente -, kann der echte Ballettomane nicht total düpiert werden. Als Choreograph hatte Lacotte eine glücklichere Hand denn als Inszenator Man

hangelt sich von Nummer zu Nummer, der Handlungsfaden ist nur mühselig geknüpft. Dem entspricht auch die von Franz Keller bearbeitete Musik Aubers. Die plätschert oberflächlich dahin, zur Figurencharakterisierung trägt sie nicht bei. Da versöhnt, daß Michel Queval die Staatskapelle zumindest zu engagiertem Spiel ermuntern konnte. Wenn in der Musik etwas von innerer Bewegtheit Klang wird, findet das auch tänzerischen Ausdruck, so im zweiten Akt beim Pas de deux Fee-Student. Trotz der guten Feen - bei der Stückwahl war man wohl doch von allen guten Geistern verlassen.

Die Staatsoper mit seichter Unterhaltung auf dem Weg zurück zur Hofoper? Perfektioniertes Amüsement bieten die Kommerzbühnen hinreichend, da darf man von den aus Steuergeldern hochsubventionierten Bühnen wohl doch etwas mehr an künstlerischem Anspruch verlangen als solch farbig illustrierte Unverbindlichkeit.

GÜNTER GORTZ

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