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Espenhain zapft Strom aus Sonnenschein

Auf einer alten Kippe bei Leipzig steht das vorerst weltgrößte Solarkraftwerk

  • Hendrik Lasch, Espenhain
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Leipziger Süden wird Strom im großen Maßstab nicht mehr nur aus Braunkohle gezapft. Auf einer Kippe entstand das weltgrößte Solarkraftwerk. Die Stromerzeugung ist bescheiden, der Impuls für eine neue Technologie umso größer.
Es gehört zu den Grundregeln, eine Reportage nie mit dem Wetter zu beginnen. Doch manche Themen rechtfertigen Ausnahmen. An dieser Stelle sei also gesagt: Die Sonne scheint auch in diesen Tagen auf den Leipziger Südraum. Man könnte sogar sagen: Sie sengt. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) beziffert die »Globalstrahlung«, mit der das Gestirn auf die Gegend zwischen Leipzig und Borna brennt, auf 1058 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter - nicht ganz so viel wie in der Sahara. Trotzdem liegt der Südraum, der von Kohlebaggern zerwühlt wurde und mancherorts einer Wüste ähnelt, laut DWD in »einer der sonnenreichen Regionen Mitteldeutschlands«.
Die DWD-Zahlen finden sich nicht in einem Tourismusfaltblatt, sondern in einem Bankprospekt. Es soll dazu animieren, den Sonnenschein dem Dörfchen Mölbis in bare Münze zu verwandeln. Konkreter gesagt, geht es um Anteile an einem Sonnenkraftwerk, das auf einer ehemaligen Aschekippe errichtet wurde. Die Anlage, die in dem Ortsteil der Gemeinde Espenhain auf einem Plateau mit der Größe von 40Fußballfeldern entstand, soll nicht weniger als das größte Solarkraftwerk der Welt sein.

Große »Gärtnerei«
Auf den ersten Blick sieht die mit Superlativen überhäufte Anlage aus wie eine große Gärtnerei. Aus Richtung Süden erinnern bläulich blitzende, schräg gestellte Glasbänder, die in langen Reihen parallel ausgerichtet sind, an Gewächshäuser. Von Norden fällt der Blick dagegen auf Gestelle aus wetterfestem Robinienholz, die in ihrer filigranen Bauweise an die Rümpfe von Modellflugzeugen denken lassen. Im Boden sind Kabel verlegt. Das wars: Keine Schaltzentrale, nicht einmal ein Strommast. Monumental ist an dieser Anlage nichts.
Fachleute dagegen bekommen leuchtende Augen, wenn sie vom Kraftwerk sprechen. Bei den blauen Bändern handelt es sich um 33500 Solarmodule, die in einem Winkel von genau 30 Grad nach Süden ausgerichtet sind und, wenn die Sonne lacht, Strom erzeugen. Auf fünf Megawatt wird die Tagesleistung von den Betreibern Shell Solar und Geosol beziffert - mehr als doppelt so viel wie bei der bislang größten deutschen Anlage auf der Messe München. »Ein Tageswerk«, heißt es stolz in einem Werbefilm, »versorgt 1800 Haushalte mit Strom«.
Fünf Megawatt sind wenig im Vergleich zu den 1840 Megawatt Leistung, die im nahe gelegenen Kraftwerk Lippendorf erzeugt werden. Die Dampfsäulen, die über dessen Kühltürmen stehen, sind von Espenhain aus gut zu sehen. Lippendorf gehört zu den modernsten Kraftwerken der Welt. Verfeuert wird dort Braunkohle.
Deren Förderung vernichtet nicht nur Natur und Siedlungsraum: »Heuersdorf liegt ganz in der Nähe«, erinnert der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin an einen vom Bergbau bedrohten sächsischen Ort. Braunkohle und andere fossile Brennstoffe, deren Vorräte endlich sind und bei deren Verbrennung das Klimagas Kohlendioxid anfällt, sind zudem nicht unbedingt Kernbestandteile der von Trittin beschworenen »zukunftsorientierten Energiewirtschaft«.
Auch Sachsens Minister Steffen Flath (CDU), der den im Freistaat propagierten Energiemix mit Konzentration auf die »einheimische und subventionsfreie« Braunkohle verteidigt, weiß, dass Kohlevorräte einmal zur Neige gehen. Sonne dagegen »wird noch in Millionen von Jahren scheinen«: Es wäre »regelrecht dumm«, sie nicht zu nutzen. Flath zitiert den sächsischen Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald, der schon vor 100 Jahren die »unmittelbare Nutzung der Sonnenenergie« als »späteres Ziel des Fortschritts« ansah: Die Erde werde dann »mit Apparaten bedeckt sein«, in deren Schatten Menschen »ein bequemeres Dasein führen«.
Bis dahin ist es ein langer Weg. Derzeit ist Deutschland bei der Erzeugung von Sonnenenergie zwar bereits die Nummer 2 in der Welt - hinter Japan, vor den USA. Doch die erzeugten 0,3 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr stellen gerade einmal 0,3 Prozent des Stroms dar, der hier zu Lande aus Alternativenergien gewonnen wird, sagt Kurt Döhmel, Geschäftsführer von Shell Deutschland. Gemessen am gesamten deutschen Strommarkt, »liegt der Wert im Promillebereich«. Das wird sich, was den Solarstrom betrifft, in Deutschland auch künftig kaum ändern.

Globale Technologie
Neben dem Imagegewinn für den Ölkonzern Shell - Konkurrent BP Solar eröffnet am 13. September die Solarstromanlage Geiseltalsee bei Merseburg mit perspektivisch 6MW - erfüllt das Espenhainer Projekt deswegen einen anderen Zweck als Exportschlager. Die Experten glauben, dass 2050 ein Drittel des globalen Energieverbrauchs aus Sonnenstrom gedeckt wird. Die Umsätze, schwärmt Trittin, könnten dann bei 100 Milliarden Dollar liegen. 70 Prozent der Wertschöpfung, ergänzt Döhmel, finden in der Fertigung von Solarzellen und
-modulen statt. Dabei würden auch Arbeitsplätze entstehen. Allein in Sachsen arbeiten nach Angaben Flaths bereits 600 Menschen für Sonnenenergie. Damit die Zahl weiter steigt, fordert Trittin deutsche Unternehmen auf, die »Technologieführerschaft« zu übernehmen.
Anlagen wie die Espenhain sind dafür von großer Bedeutung - auch wenn zum Betreiben des Kraftwerks ganze zwei Menschen benötigt werden und Shell Solar die Sonnenzellen nicht in seinem Werk Gelsenkirchen, sondern in der US-Filiale produziert hat. Sonnenstrom sei hier zu Lande bisher ein Thema »für Schulen und ein paar Hausbesitzer« gewesen, sagt Trittin. Großanlagen lassen die Fertigung nun rentabler werden. Schon in 15 Jahren, sagt Döhmel, solle Sonnenenergie mit Öl konkurrenzfähig sein.
Davon ist die Branche noch weit entfernt. Den Espenhainer Strom muss der regionale Energieversorger zu einem garantierten Preis von 45 Cent je Kilowattstunde abnehmen. Grundlage dafür ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das für die nächsten 20 Jahre finanzielle Vergütungen für Alternativstrom sichert. Ohne Hilfe der Politik wäre die Branche noch nicht lebensfähig: Erneuerbare Energieträger bräuchten »entsprechende Rahmenbedingungen«, bemerkt Shell-Manager Döhmel und dankt dem Bundesminister für das Gesetz. Der weist Kritik an einer übermäßigen Belastung von Bürgern und Wirtschaft durch die Öko-Energie zurück: Ganze Branchen blieben dank Ausnahmen verschont; Bürger würden im Schnitt mit einem Euro je Haushalt und Monat belastet: »Das ist nicht zu viel.«

Hoffnung auf Imagegewinn
Fest steht: Die Branche ist durch das EEG in Bewegung geraten. Das Wachstumstempo sei »deutlich beschleunigt«, sagt Döhmel. Sein Unternehmen trägt selbst dazu bei: Fünf Kilometer südlich von Espenhain entsteht bereits das nächste
5-MW-Sonnenkraftwerk. Es soll baldmöglichst ans Netz gehen.
Im Leipziger Südraum, wo die Energiewirtschaft eine große Tradition hat, beobachtet man die Entwicklung mit Stolz - auch wenn die Sonnenparks kaum Jobs bringen. Günter Weinelt, Ortsvorsteher von Mölbis, erhofft sich einen »Imagegewinn« und »Synergieeffekte«, die weitere Unternehmen anlocken. Platz ist genug in den Hallen von Espenhain, wo früher Braunkohle verarbeitet wurde. Aus den Schwelereien, erinnert sich Weinelt, zog der »Industrienebel« in derart dichten Schwaden über Mölbis, dass Fenster geschlossen und das Licht angeschaltet werden musste. Wenn das neue Kraftwerk arbeitet, sind keine Vorsichtsmaßnahmen notwendig - außer vielleicht ein wenig Sonnencreme.
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