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  • Politik
  • Lebenserinnerungen von Eberhard Rebling, der heute 85 wird

»Sag nie, du gehst den letzten Weg»

  • Jochanan Trilse-Finkelstein
  • Lesedauer: 5 Min.

Heute wird der Musikwissenschaftler und Pianist Eberhard Rebling 85 Jahre alt. Der Sohn eines preußischen Offiziers wandte sich schon früh gegen den aufkommenden Faschismus in Deutschland. Gemeinsam mit Lin Jaldati ging er in den antifaschistischen Widerstand. Verfolgung und Verhaftung folgten. Eberhard Rebling wird zum Tode verurteilt, kann flüchten, geht in den Untergrund. Lin Jaldati muß den Leidensweg durch die Konzentrationslager Westerborg, Auschwitz und Bergen-Belsen antreten. 1952 kehren beide nach Deutschland zurück und widmen sich in der DDR der Erneuerung der deutschen Kultur Er alsMusikwissenschaftler, Pianist, Partner von Lin Jaldati, Rektor der Berliner Hochschule für Musik »Hanns Eisler«. Sein Buch »Ballett von A bis Z» galt viele Jahre auch international als Standardwerk für die Tanzkunst. Als Ballettrezensent, auch für diese Zeitung, war er kritischer Begleiter der Entwicklung dieses Genres in der DDR.

Die Lebenserinnerungen Lin Jaldatis und Eberhard Reblings sind in dem Buch »Sag nie, du gehst den letzten Weg«, aufgezeichnet. »Aber eines stand für uns seit jenem 27 Mai 1945 (der Tag, als Lin Jaldati und Eberhard Rebling sich nach langer Trennung wiedersahen) fest: So etwas darf nie, nie wieder geschehen. Wir werden laut rufen und uns heftig dagegen wehren, wenn jemals Faschismus, Rassismus, nationalistische Überheblichkeit und Kriegstreiberei ein neues Blutvergießen vorbereiten. (...) An dieses Versprechen, das wir uns damals gaben, haben wir uns immer gehalten.«

So endet der erste Band der Erinnerungen von 1986, die unter dem gleichen Titel des berühmten Partisanenliedes von Hirsch Glik, »Sag nie, du gehst den letzten Weg«, im Berliner Buchverlag Der Morgen erschienen waren. Diese Passage fehlt in der vom Marburger BdWi-Verlag herausgegebenen, umfassend erweiterten Ausgabe.

Der erste Teil dieser neuen Publikation umfaßt die Jahre 1911-1945, im zweiten werden die Jahre von 1945 bis 1988 be-

schrieben. Das Buch endet mit einem »Epilog 1994«, führt also fast unmittelbar in unsere Gegenwart.

Autobiografien sind ein beliebtes Genre, oft werden sie von sogenannten Ghostwritern geschrieben und haben selten künstlerischen Wert. Im vorliegenden Fall hat sich ein Paar auf exemplarische Art ergänzt. Einzelne Abschnitte weisen Lin oder Eberhard als Autoren aus, andere sind von beiden gezeichnet. Die Einzeltexte haben verschiedenste Formen:

Neben Passagen, die im Berichts- oder Erzählton verfaßt sind, stehen Tagebuchausschnitte bzw. -notizen, bereits veröffentlichte Artikel, Briefe. Es macht die hohe Kunst Eberhard Reblings als Gesamtredakteur aus, daß dieses dicke Buch einigermaßen homogen und gut zu lesen ist, oft sogar spannend. Gelegentlich hätten Textkürzungen oder Reduzierung der Erlebnis- und Stoffmasse genutzt.

Ist Rebling am Ende quasi der Regisseur dieses Lebensensembles, so ist Zentralfigur, ja Protagonistin Lin Jaldati, »die große alte Dame des jiddischen Liedes«, wie eine Züricher Zeitung sie einst nannte. Und sie war ja mehr: nicht nur eine große Sängerschauspielerin, die Texte von Brecht oder Fürnberg in der Vertonung von Dessau bzw. Eisler gebracht hat, sie war Überlebende von Auschwitz und Bergen-Belsen, die letzte Freundin von Anne Frank (sie hat Anne begraben), eine Künstler-Dolmetscherin für Frieden, Antifaschismus und Sozialismus im besten Sinne. Ein indischer Journalist sagte über sie: »Sie sind nicht nur eine große Künstlerin, sie sind eine große Mutter « (S. 606). Konsequent für Humanismus eintretend, war sie hart in der Absage an Kapitalismus und Imperialismus, kompromißlos in der Kritik am entartenden Sozialismus, und stets eine bewußte Jüdin.

Den Töchtern ist sie Mutter und Lehrerin zugleich gewesen: Kathinka, der Geigerin, und Jalda, der Sängerin und Schauspielerin, die am ehesten die Stafette von der Mutter übernahm. Die vier Reblings stehen im Zentrum des Buches, vereint dann auch als Familien-Ensemble. Dessen Auftritte waren zuweilen Sternstunden, vor allem der im Berliner Ensemble anläßlich des 75. Geburtstages von Lin im Dezember 1987 und im Jänner 1988 in der Wabe (Berlin-Prenzlauer Berg) zu den zweiten »Tagen der jiddischen Kultur«, Lins Abschied von der Bühne. Unvergeßlich!

Bei unzähligen Auftritten in vielen Ländern, zahlreichen Rundfunkkonzerten und durch ihre Plattenveröffentlichungen erreichten sie ein riesiges Publikum. Ihre Kunst schilderte das Leid, die Kämpfe und die Hoffnung des jüdischen Volkes nicht umsonst war der titelgebende Par-

tisanenmarsch (auch Lieblingslied meiner Mutter) ein Kernstück fast jeden Auftrittes mit dem Schlußsatz »Wir sejnen do - Wir sind da!«. Sie traten ein für eine gerechtere Weltordnung. Politische Künstler im besten Sinne!

So, wie sich das Buch als Report des Weltfriedensbemühens liest, so ist es im Grunde auch eine Kulturgeschichte der DDR, im ganz besonderen eine des Sich-Behauptens von Jüdischsein und jüdischer Kunst, die es eben auch in diesem antifaschistischen Staat, der vielen seiner demokratischen Prinzipien untreu wurde, schwer hatte. Man begegnet im Buch einer Fülle von Namen nationaler und internationaler Künstler, die im Leben von Lin Jaldati und Eberhard Rebling eine Rolle spielten: Schriftsteller Ananta Toer aus Indonesien, Josef Cyrankiewicz (Polen, Auschwitzüberlebender) Otar Taktatischwili (Georgien), die Komponisten Paul Dessau, Hanns Eisler und viele andere.

Das Buch ist auch eines, das vom argen Weg der Erkenntnis berichtet. So etliches an blauäugigem Optimismus oder leichtfertig-illusionistischer Naivität korrigiert vor allem Rebling. Ist es in Jahrzehnten gewachsene Erkenntnis oder nach 1989/90 gewonnene? Kritische Marxisten waren die Autobiografen gewiß, aber auch Teil des Systems.

Sehr schön die Schlußsätze: »Der gegenwärtige Kapitalismus ist nicht in der Lage, die vielschichtigen, komplizierten globalen Probleme zu lösen. (...) Utopien sind nicht gefragt. Und dennoch: die Bergpredigt vor zweitausend Jahren, die »Utopia« des Thomas More ... und das Kommunistische Manifest erstrebten eine Gesellschaft freier, sich freiwillig, also demokratisch zusammenschließender Menschen. Und so bin ich davon überzeugt, daß den vier von mir erlebten Umbrüchen weitere folgen werden.... Die Fortschritte der Menschheitsentwicklung vollziehen sich viel widerspruchsvoller und langsamer als wir es geglaubt hatten, aber sie sind unausweichlich.«

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