- Politik
- Vor 25 Jahren wurde das deutsch-deutsche Transitabkommen unterzeichnet
Durchgehender Autobus
Grenzübergangsstelle Drewitz, 1972
Foto: ND-Archiv
Die vier Götter hatten ihre Zejin Gebote gegeben. Zu erklären,^ was das ist, wäre Martin Luther nicht schwerer gefallen als Michael Kohl oder mir « So beschreibt heute Egon Bahr in seinen Memoiren die gemeinsame Ausgangsposition für die deutsch-deutschen Transitverhandlungen nach der am 3. September 1971 erfolgten Unterzeichnung des Vier-Mächte-Abkommens. Der Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin sollte erleichtert und auf eine vertragliche Ebene gehoben werden.
In der Vergangenheit hatte es immer wieder politisch motivierte Belastungen für den zivilen Transitverkehr von Personen und Gütern von und nach Westberlin gegeben. Anfang 1961 drohte die vollständige Unterbrechung, nachdem Bonn einseitig das deutsch-deutsche Handelsabkommen von 1951 gekündigt hatte und damit auch die Regelungen über die Warenbegleitpapiere für den Berlin-Verkehr ungewollt außer Kraft setzte. Zwei Tage vor Ablauf der Kündigungsfrist setzten beide Seiten in einem geheimen Ergebnisprotoköll vom 29. Dezember 1960 das Abkommen wieder in Kraft. Vor allem aber nach dem Mauerbau in Berlin kam es immer wieder zu Störungen. Dies sollte nun anders werden. Erste offizielle Gespräche begannen am 27. November
1970 zwischen Bahr und Michael Kohl. Das im Jahr darauf abgeschlossene Vier-Mächte-Abkommen verwies als Ausgangspunkt für die weiteren Verhandlungen' äüf'dfe''»internationale 1 Praxis«“.' Dieser Bezugspunkt erwies sich ?jedoch ? in den deutsch-deutschen Verhandlungen
als untauglich, da es nirgends in der Welt eine vergleichbare Situation gab. So beschritten beide Seiten politisches und diplomatisches Neuland. Das führte auch zu defiriifbrischen “Schwierigkeiten. DDR 1 ' Delegationsmitglied Karl Seidel erinnerte ? sich jüngst, daß z. B. der Begriff »durch-
gehender Autobus« nicht zu klären war. Bahr bemerkte dazu in der Verhandlung, er könne sich zwar ein durchgehendes Pferd vorstellen, aber einen durchgehenden Autobus? Das Problem wurde schließlich im Artikel 10 geregelt. Er sah für die DDR vor, gesonderte Rastplätze an den Transitstrecken für die »durchgehenden Autobusse« zu errichten (was erheblicher Aufwand bedeutete). Wichtiger wären jedoch andere Regelungen des 'Transitabkommens. So einigten sich beide Seiten auf die Pauschalisierung der
Straßenbenutzungs- und Visagebühren. Die Transitpauschale für die Jahre 1972 bis 1975 betrug jährlich 234,9 Millionen DM. Sie wurde später neu festgelegt, stieg erheblich an. Am 5. Oktober 1988 wurde das letzte Protokoll über die Neufestsetzung der Transitpauschale unterzeichnet. In Geheimverhandlungen mit Franz Josef Strauß und dem damaligen Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble hatte Q^R-Staat^sekcetär,Alexander, Schalck: Göiodkowski eine jährliche Transitpauschale in Höhe von 860 Millionen DM durchgesetzt - für die Jahre 1990 bis 1999!
Am 17. Dezember 1971 wurde das Transitabkommen, der erste deutschdeutsche Regierungsvertrag, unterzeichnet. Am 3. Juni 1972 trat es in Kraft. Die DDR hat jedoch dessen Bestimmungen schon Ostern und Pfingsten d. J. angewandt, um ein Zeichen des »guten Willens« zu setzen. Diese Geste hing indes auch mit den laufenden Verhandlungen um einen deutsch-deutschen Verkehrsvertrag und der Debatte in der BRD um die Ratifizierung der Ostverträge zusammen. Zugleich wollte man die Position Willy Brandts angesichts des von der konservativen Opposition beantragten »konstruktiven Mißtrauensvotums« stärken.
Die gemeinsame Transitkommission hat bis 1990 etwa 50 mal getagt. Ihr häufigster thematischer Gegenstand war der Protest der DDR gegen die Nutzung von Transitstrecken durch »Fluchthilfeorganisationen«. Es gelang den Mitgliedern der deutsch-deutschen Transitkommission jedoch, die Probleme innerhalb der Kommission oder auf anderem bilateralem Wege zu lösen. Die Vier Mächte als »Auftraggeber« des Transitabkommens mußten in keinem einzigen Fall als Schlichter angerufen werden...
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