- Politik
- TV-Tip: »Der Pott« (ARD, Sonntag, 23.00 Uhr)
Irreale Geschichte eines Fußballclubs
Schön, wenn der Fernsehkritiker einmal einen Fernsehfilm von ganzem Herzen und uneingeschränkt empfehlen kann. Schade, daß dieser Film schon 26 Jahre alt ist. Das war die Zeit, als das bundesdeutsche Fernsehen sich noch als kulturelle Einrichtung betrachtete; als Fernsehspiele zu produzieren noch erschwinglich war und sich selbst kleinere Anstalten diesen Luxus gönnen konnten; als die Fernsehdirektoren sich noch durch Originalität auszeichneten, zumindest einige von ihnen; als die einzelnen Anstalten noch miteinander um das beste Fernsehspiel konkurrierten. Als Regisseure noch experimentierten und nicht auf »Nummer sicher« gingen.
Damals wurde der Theaterregisseur Peter Zadek (45) noch unter die jungen
Wilden gezählt, waren seine Inszenierungen in Ulm, Bremen und Bochum stets von Skandalen begleitet. Er krempelte die Klassiker um, machte aus Schillers »Räubern« einen Comic und ließ in seinem »Othello« den wilden Mohr die nackte, tote Desdemona auf die Wäscheleine hängen. Der »gute deutsche Geschmack« tobte, und selbst in der noch nicht anerkannten DDR erbosten sich Kritiker mit dem bewährten Aufschrei: »Nadarfdennderdas?!?!« und konstatierten wieder einmal die kulturelle Agonie des Imperialismus.
In diesen wilden Jahren nach der Achtundsechziger-Revolte streckte Zadek nun auch noch die Hände nach dem Fernsehen aus. In Köln beim WDR fand er einige geneigte Ohren für seine Neuerungen, und binnen weniger Jahre entstanden Fernsehspiele, die so sehr aus der Rolle fielen, daß sie Fernsehgeschichte schrieben. Zadek inszenierte den »Nebbich«
von Sternheim mit Heinz Bennent, »Rotmord« von Tancred Dorst und eben auch den »Preispokal« des irischen Dramatikers Sean O'Casey. Zadek und Dorst, der Übersetzer und Bearbeiter, nahmen diesem Stück des seinerzeit häufig (auch in der DDR) gespielten realistischen Stükkeschreibers jede Romantik, profanierten den Titel zu »Der Pott« (was jeder Ruhrkumpel verstehen konnte) und stützten sich bei der Inszenierung auf die eben neu entdeckten Möglichkeiten der elektronischen Bildtechnik.
Schon »Rotmord« hatten sie bildästhetisch verfremdet. Ein kitschiger Rahmen umgab das Fernsehbild, dem durch spezielle tricktechnische Bearbeitung der Charakter historischer Filmstreifen aufgeprägt war: überharte Kontraste und starkes Bildflimmern. Beim »Pott« gingen Zadek und sein Ensemble, unterstützt vom damaligen WDR-Bildingenieur Roland Freyberger (heute technischer Direktor des Kölner Senders) 1971 noch weiter Die Geschichte um einen Dubliner Fußballclub, dessen Mitglieder 1917 in den Krieg ziehen und als Krüppel zurückkehren, erzählt Zadek als konsequente Desillusionierung. Er setzt dabei die Bluebox-Technik ein - die Schauspieler agierten vor blauen Kulissen, die im endgültigen Bild nicht zu sehen waren - und ließ das Szenenbild von einer zwei-
ten Kamera im Modell parallel aufnehmen. Beide Bilder mischte er miteinander, und die Figuren spielten, ohne Schatten, in einer seltsam irrealen Umwelt. Mit dem Krieg und seinen Qualen wird die Welt zunehmend realer, der Raum wird zum konventionellen festen Gebäude. Das Heldentum des Fußballstars war buchstäblich »nicht von dieser Welt«; die war seinem Leiden als beinloser Versehrter vorbehalten.
Aber nicht nur dies. Auf dem Schlachtfeld zieht Christus am langen Strick eine Kanone hinter sich her, die Hauptdarstellerin Helga Anders zeigte die nackten Brüste, die Ärzte und Offiziere waren arrogante Popanze - und schon war der Skandal perfekt! Der Film wanderte im zensurlosen Rechtsstaat in die Regale, und es dauerte Jahre, bis er wiederholt wurde, und dies, wie auch am kommenden Sonntag, nur zu mitternächtlicher Stunde. Pazifismus war in beiden deutschen Teilstaaten nicht gern gesehen (und ist auch heute nicht gefragt).
Also, wenn Sie irgend können - schauen Sie zu oder reden Sie mit ihrem Recorder, daß er Ihnen den »Pott« aufzeichnet, zumal solche großen Schauspieler wie Curt Bois, Hans Mahnke und Heinz Bennent zu sehen sind. Das gibt's nur selten - das kommt im deutschen Fernsehen so bald nicht wieder!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.