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Opa an der Wand

Rechtsextremismus Worauf Bundeswehr-Oberstleutnant Guderian stolz ist und was Bundeswehrsoziologen ohne Auftrag nicht erforschen können Von Rene Heilig

  • Lesedauer: 4 Min.

»Und ich lasse nicht zu, daß die Bundeswehrwegen Verfehlungen Einzelner unter Generalverdacht gestellt wird. Denn insgesamt können wir auf unsere Armee stolz sein.« So Verteidigungsminister Volker Rühe unlängst auf der Kommandeurtagung. Er bezog sich auf rechtsextreme und ausländerfeindliche Vorfälle in Detmold, Hammelburg und Schneeberg.

Man kann diese Orte inzwischen durch Erfurt, Sanitz, Berlin erweitern. Seit Montag beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe »Rechtsextremismus« mit dem politischen Zustand der Bundeswehr. Man will dem Minister in Kürze Vorschläge zur »Vermeidung rechtsextremistischer Verhaltensweisen« und zur »Verbesserung der Dienstaufsicht« vorlegen. Gefragt wird auch, wie man Rechtsextremisten vom Wehrdienst fernhält.

Da können Minister und Generalität sagen, was sie wollen - man »scheißt einfach keine Kameraden an«. Von Stasi-Methoden ist in der Truppe die Rede, wenn der Militärische Abschirmdienst (MAD) einbezogen wird. Und wenn ein Soldat auspackt? Zur Not wird das »Kameradenschwein« versetzt. So geschah es unlängst einem Hauptgefreiten. Der hatte sich Mitte Oktober bei der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Ciaire Marienfeld (CDU), beschwert. Über ein Bild an der Wand seines Vorgesetzten. Der ist Bundeswehr-Verbindungsoffizier bei einem Corps der US-Army. Auf dem Bild ist Generaloberst Heinz Guderian, Hitlers Panzermann der Extraklasse, zu sehen. In Wehrmachtsuniform mit Adler und Mörderkreuz.

Das Dienstzimmer gehört Guderians Enkel Günther Und der hat Opa aufgehängt, denn: »Ich bin sehr stolz auf ihn«. So ließ sich der Bundeswehr-Oberstleut-* nant zitieren. In der US-amerikanischen »Fayetteville-Observer-Times«. Für einen Fotografen des Blattes posierte er mit dem Bild. Das war vor zwei Jahren. Gestört hat es - bis zum Oktober 1997 niemanden.

Der stolze Enkel steht in der Familientradition. Sein Vater war im zweiten Weltkrieg Oberstleutnant und schied als Zwei-Sterne-General vom Militär Der Großvater saß als Generalstäbler nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 in einem »Ehrengericht«, das aufbegehrende Offizierskameraden dem Henker überantwortete. Warum Großvater Guderian nicht selbst bei der Militärrevolte mitgemacht hat, erklärt der Enkel so: Es sei einfach »gegen seine Offiziersehre gewesen, jemanden zu töten, ohne ihm dabei ins Gesicht zu sehen«. Ein Grundsatz, der bei Heinz Guderians Blitzkriegzügen gegen Frankreich oder die Sowjetunion keine Beachtung gefunden hatte.

Man könnte allerdings statt der »Ehrenerklärung« des Enkels auch den 44er Schwur von Hitlers Feldherren zitieren: »Jeder Generalstabsoffizier hat ein na-

tionalsoziahstischer Fuhrungsoihzier zu sein...« Das Bundesverteidigungsministerium beantwortete eine entsprechende ND-Anfrage mit dem Hinweis, daß da »aus dem politischen Bereich jemand nachgefragt habe«. Dieser »jemand« ist vermutlich die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach und die meint, daß ein solcher Mann, »der die Bundeswehr im Ausland repräsentiert, untragbar geworden« sei. Zugleich fordert die Abgeordnete, daß »Soldaten, die sich mit Eingaben an die Wehrbeauftragte wenden, deswegen keine Nachteile erleiden«.

Ein frommer Wunsch, wie das Beispiel zeigt. Im um Datenschutz bemühten Büro der Frau Marienfeld murmelte man etwas von »gebotener Vorsicht«, denn bei Eingaben erreicht man leicht die Grenze, »bis zu der man sich ungestraft äußern darf«. Wenn es sich herausstellt, daß Behauptungen »grob fahrlässig und falsch sind« ... Natürlich habe der Hauptgefreite keine disziplinarischen Folgen aus dem Hause der Wehrbeauftragten zu fürchten. Aber natürlich wende die sich zuerst an das Verteidigungsministerium. Und das untersuche dann. Und versetzt.

Auch der MAD untersucht. Man hat 760 Verdachtsfälle auf dem Tisch, in 138 soll der Abschirmdienst Rechtsextremisten erkannt haben. Etwas viel »Einzelfälle«, weshalb die Bündnisgrünen im Verteidigungsausschuß eine unabhängige Studie über den inneren Zustand der Bundeswehr verlangen. Und zwar detailliert, beispielsweise nach Truppenteilen.

Denn es stehe zu vermuten, daß Elitetruppen wie Fallschirm- oder Gebirgsjäger besonders infiziert seien, meint der Abgeordnete Winfried Nachtwei.

Ob das so ist, weiß der Chef des in Strausberg bei Berlin stationierten Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, Oberst i.G. Heinrich Geppert, auch nicht. Er stützt sich auf Loyalitätspflicht. Sein Institut betreibe Auftragsforschung, und da sein Dienstherr, das Verteidigungsministerium in Bonn, keine Untersuchung zum Thema »Rechtsextremismus in der Bundeswehr« in Auftrag gegeben hat, gibt es auch keine. So wisse man eben nur aus älteren Untersuchungen, daß »wir ein konservatives Führerund Unterführerkorps haben«. Geppert ergänzt mit Hinweis auf sich dem Wehrdienst verweigernde Linke: »Konservativ im besten Sinne, also auf dem Boden der demokratischen Grundordnung.«

Gegen Rechtsextremismus wollen auch die verbliebenen 92 deutschen Militärseelsorger zu Felde ziehen. Harald Oberhem, Chef des Grundsatzreferats im katholischen Militärbischofsamt, meldete sich dieser Tage mit einer interessanten These: Rechtsextremismus sei auch eine Folge von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Oberhem: Die »exportierten« Soldaten fragen nicht mehr, wie der Vater in der Bundeswehr diente, sondern was die Größväter in der Wehrmacht trieben.

Sozialwissenschaftler Oberst Geppert kann sich diesen Zusammenhang nicht vorstellen. Aber vielleicht ist ja Enkel Guderian ein möglicher Forschungspartner.

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