Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Sportsmann durch und durch

Er gewann in Cortina d'Ampezzo als erster DDR-Sportler 1956 eine olympische Medaille im Skispringen Von Wolfgang Behrendt, 1956 erster Olympiasieger der DDR

  • Lesedauer: 3 Min.

Harry Glaß mit seiner olympischen Bronzemedaille Foto: Wolfgang Behrendt

Harry Glaß ist tot. Der einstige Skispringer, den seine Freunde »Cherry« nannten, verstarb am Sonnabend im Alter von 67 Jahren im Krankenhaus von Rodewisch an Herzversagen. Er gewann am 5. Februar 1956 in Cortina d'Ampezzo mit Bronze als erster deutscher Skispringer eine olympische Medaille und war damit erster Medaillengewinner der DDR bei Olympischen Spielen überhaupt. Ich kenne »Cherry« aus vielen persönlichen Begegnungen. Zwar sah ich ihn während der Olympischen Winterspiele 1956 selbst nicht springen, weil ich als Boxer genau zu dieser Zeit im vorolympischen Trainingslager in Kienbaum war, aber später habe ich ihn oft als Springer erlebt und fotografiert. Er war ein begnadeter Stillst, der den damals dominierenden Finnen und Norwegern in nichts nachstand. Er sprang als einer der ersten im sogenannten »Fisch-Stil«, also mit den Armen nach hinten und nicht nach vorngestreckt. Für viele war er der eleganteste Springer seiner Zeit.

Zuletzt trafen wir uns Mitte 1995 in seiner Heimatstadt Klingenthal. Dort lebte er mit seiner als Ärztin tätigen Frau in den letzten Jahren ziemlich zurückgezogen. Damals wie heute schätzte ich an ihm, daß er ein Sportsmann durch und durch war Eine ehrliche Haut, der, allgemein als wortkarg bekannt, sich aber mit seiner Meinung nicht zurückhielt. Der sonst so ruhige Mann, den kaum etwas aus der Fassung bringen konnte, fuhr beinahe aus der Haut, als er mir vom Abriß der Klingenthaler Aschbergschanze erzählte. Harry Glaß hatte immer gehofft, daß es einen Schanzenneubau geben würde. Er hätte sich an die Spitze einer landesweiten Spendenaktion gestellt.

Zu seinen schönsten Erinnerungen, die er als Skispringer des SC Dynamo Klingenthal mit der olympischen Bronzemedaille, dem vierten Rang bei den WM 1958 in Lahti und Platz fünf bei der Skiflugwoche 1957 in Oberstdorf sowie den vier DDR-Meistertiteln zwischen 1954 und 1958 verband, gehörte die Welle der Sympathie, die er nach seinem Sturz bei der Vierschanzentournee 1960 auf der Bergisel-Schanze in Innsbruck erfuhr Er wollte zum zweiten Male Olympia erleben, fühlte sich besser drauf als Helmut

Recknagel. Der Sturz zerstörte alle Pläne. »24 Wochen lang lag mein Bein in Gips. In dieser Zeit«, so erzählte er, »bekam ich Telegramme, Briefe und Blumen in Hülle und Fülle ins Krankenhaus. Unbekannte Leute munterten mich auf. Das war schon beeindruckend.«

Harry Glaß widmete sich später als Trainer dem Nachwuchs und war eine Zeitlang Cheftrainer in Klingenthal. Er führte seinen Namensvetter Henry Glaß 1976 zu Olympiabronze und Mathias Buse zwei Jahre später in Lahti zum WM-Titel. Nach seinem Herzinfarkt 1982 kehrte er bis zu seinem Ausscheiden nach der Wende wieder zum Nachwuchs zurück. »Die Pumpe«, so sagte er ohne Resignation, »will schon seit langem nicht mehr so richtig.«

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -