Präsident Hamid Karsais neues Kabinett lässt Afghanistan junge Demokratie-Bewegung zwischen die ethnischen Mühlsteine geraten.
Seit Wochen vollzieht sich in Kabul ein bizarres Spiel um die Parlamentswahlen. Dieser Tage verkündete Präsident Hamid Karsai, dass das Votum, das ursprünglich gemeinsam mit der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr stattfinden sollte, auf September verschoben wird. Tausende zurückgekehrte Flüchtlinge müssten noch registriert werden, begründete er den Schritt.
Das zwang die Unabhängige Wahlkommission, die eigentlich für die Festlegung des Termins zuständig ist, zu reagieren. Deren Chef Bismillah Bismal gab bekannt, dass am 18. September gewählt werde - und zwar das Unterhaus mit seinen 249 Sitzen sowie die 34 Provinzräte. Die ebenfalls vorgesehenen Distriktwahlen werden auf einen vorerst nicht näher bestimmten Termin verschoben. Diese Konfusion widerspiegelt, wie unkoordiniert die durch Washington und die UNO unter Erfolgsdruck gesetzte Karsai-Regierung laviert, doch gerade die Wahlen sollen den Endpunkt im Friedensprozess setzen.
Das Kernproblem ist das Wahlverfahren. Hier tobt der Streit zwischen den Präsidentenanhängern, die eine reine Personenwahl ohne Listen wollen, und den Parteien, die sich eindeutig zu Gunsten einer Listenwahl geäußert haben. Bevor letztere aber in dieser Frage konsultiert wurden, versuchte Karsai, vollendete Tatsachen zu schaffen. Nach einer überraschend vorgezogenen Kabinettssitzung ließ er verkünden, die Regierung habe sich für die Personenwahl entschieden. Eine Festlegung von höchster Brisanz, da das sich entwickelnde Parteiensystem blockiert wird, bevor es sich richtig herausbilden kann.
Politiker wie Sebghatullah Sandschar von der Republikanischen Partei klagen, dass Karsai die Chance verspielt hat, die ihm sein Wahlsieg im vergangenen Oktober beschert hatte, nämlich unter den nicht nur in Kriegsverbrechen, sondern auch in Drogen-, Waffen- und Kinderhandel verstrickten Warlords aufzuräumen. »Die Erwartungen haben sich nicht erfüllt«, urteilte er. In den sich rapide ausweitenden Drogenhandel seien »Schlüsselpersonen der Regierung« verstrickt, und die würden »das Drogengeld bei den Wahlen einsetzen«.
Zulfiqar Khan Omid, Chef der Partei für Arbeit und Entwicklung, rief dazu auf, zwischen »wirklich im nationalen Interesse handelnden Parteien« sowie jenen zu unterscheiden, die »als Agenturen von Geheimdiensten Terror verbreiteten«. Er rief mehrere Kriegsfürsten - darunter Karsais Vize Khalili und seine beiden Hauptverbündeten Rabbani und Sayyaf - auf, sich bei den Afghanen für ihre Untaten zu entschuldigen und nicht weiter ethnische Spannungen anzuheizen.
Mia Gul Wasiq von der Volkswohlfahrtspartei fasste die Forderungen der Demokraten zusammen: Entwaffnung der Kriegsfürsten vor den Wahlen, Verwaltungsreform, Entlassung der in den Drogenhandel verwickelten Personen, entschiedene Schritte gegen die Korruption und Prozesse gegen Kriegsverbrecher.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Sayyafs ultrakonservative Anhänger beherrschen nach wie vor das Gerichtswesen. Rabbanis Partei Jamiat-e Islami erhielt drei weitere Gouverneursposten, obwohl sie wegen ihrer immer noch nicht entwaffneten Milizen nicht einmal offiziell registriert wurde. Einen weiteren als Kriegsverbrecher bekannten Warlord, den Usbeken-General Dostum, holte Karsai zu sich als Militärberater.
Zu Dostums Ernennung hatte USA-Botschafter Khalilzad den Präsidenten genötigt. Dessen laufende Einmischung in afghanische Angelegenheiten macht es Karsais Gegnern leicht, den Präsidenten als Marionette Washingtons abzustempeln. Und obwohl Karsai versucht, sich als supraethnischer Staatsmann zu profilieren, hat er es bisher nicht vermocht, dauerhaft über seine paschtunische Stammesbasis hinaus zu mobilisieren. Karsais Hauptgegner bei der Präsidentenwahl - die aus dem antisowjetischen Widerstand hervorgegangenen Führer der Nichtpaschtunen - nutzen das aus, um ihre eigene ethnische Basis um sich zu sammeln und ihre schweren Menschenrechtsverletzungen in der Zeit nach dem Abzug der Sowjettruppen vergessen zu machen.
Sandschar, Wasiq, Baktasch und Omid hingegen gehören zu einem prodemokratischen 17-Parteien-Bündnis, das im Oktober noch Karsais Kandidatur unterstützt hatte, nun jedoch mit einer gemeinsamen Plattform eigenständig Kandidaten für das Parlament aufstellen will. Doch den jungen Parteien, die erst seit anderthalb Jahren legal arbeiten können, fehlt Erfahrung, und die Zeit drängt. Schon vom 26. April an müssen sie ihre Kandidaten registrieren, und bis dahin stehen schwierige Verhandlungen darüber an, wer in welcher der 34 Provinzen, die gleichzeitig die Wahlkreise darstellen, ins Rennen gehen soll.
Zwei weitere Kräfte sind in diesem Teil des politischen Spektrums aktiv: eine Initiative »Dritter Weg« ehemaliger zum Teil radikaler Linker mit nunmehr eher sozialdemokratischer Ausrichtung und mehrere Gruppen unabhängiger Frauen, die danach streben, die in der Verfassung garantierten Sitze für Frauen - zwei pro Provinz - zu erringen. Was sie alle eint, ist ihr Mangel an Ressourcen.