- Politik
- Wie Konstanze Lauterbach am Wiener Burgtheater mit Bertolt Brecht spielt
Schneeglöckchen gegen den Krieg
Therese Affolter (Courage) und Ute Springer (Kattrin) in der Inszenierung der Leipzigerin Konstanze Lauterbach an der Wiener »Burg«
Foto: dpa/Brachwitz
Noch vor dem Bühnenportal ist ein riesiger roter Vorhang gespannt. Wenn er hochgeht, wird eine Schneeglöckchenwiese sichtbar - in einer Diagonalen gereiht sitzen zwanzig Frauen und Männer auf barockem Gestühl. Sie bügeln im Takt ihre lädierte Bekleidung und stöhnen bedeutungsvoll. Vorn verbrennt eine Hexe einen Schneemann, in der Mitte hängt eine einfache Schaukel, und oben im Bühnenhimmel sitzen die Krähen. »Das Frühjahr kommt. Wach auf, Du Christ! Der Schnee schmilzt weg. Die Toten ruhn. Und was noch nicht gestorben ist, das macht sich auf die Socken nun.« Das sieht man und dieses atmosphärische Bühnenbild von Helmut Stürmer mit dem Hauch eines Bruegel-Winters bleibt der Ort für die Wanderung der Mutter Courage durch halb Europa und den Dreißigjährigen Krieg. Dieser verhalten poetische Grundton wird durch die Bearbeitung von Paul Dessaus Musik durch John Cale noch verstärkt. Die Songs haben nichts agitatorisch Skandierendes mehr. Rhythmus und Instrumentierung sind weicher. Neben dem Kanonendonner gibt es auch viele leise Momente und Stille. Konstanze Lauterbach versucht die Bilder des medial verbreiteten alltäglichen Grauens der Gegenwart nicht auf der Bühne zu überbieten, sondern durch ihre szenischen Chiffren im Kopf des Zuschauers zu erzeugen. Und
so läßt sie ihre Courage auch gar nicht erst gegen die Überfigur antreten, die ihren Planwagen einst auf der Drehbühne des Berliner Ensembles zog und nicht von der Stelle kam, die sich mit Lebensmut, Härte und Sinn fürs Geschäft abmühte und dennoch ihre Kinder nicht durch den Krieg brachte.
Die Anna Fierling der Therese Affolter ist jünger und nicht so hart. Sie ist aber auch nicht so eindringlich und keinesfalls die Hyäne des Schlachtfeldes, wie sie der Feldprediger (Roman Kaminski) in eifersüchtiger Wut nennt. Sie bleibt immer irgendwie nett und auch dann noch zart und frisch, wenn sie vor Verzweiflung
stumm schreit, als ihr Sohn Schweizerkas erschossen wird. Wenn sie am Ende auch noch ihre Tochter dreingeben muß, weil die mit dem Mut der Verzweiflung gegen den heimlichen Überfall auf die Stadt Halle antrommelt und ihr Leben dabei verliert, fehlen ihr die Tränen. Zur Erschütterung führt das aber nicht mehr, und sie macht alleine weiter.
Konstanze Lauterbach sucht das Zentrum des Stücks nicht allein bei der Titelfigur, trotzt ihrer Dauerpräsenz. Durch die Einfügung von Heereslagerszenen zeigt sie die geistig moralischen Verwüstungen dieses endlos langen Krieges, der ja die Hälfte der Bevölkerung dahinraffte und für Generationen der »Normalzustand« des Lebens war, als fortschreitenden Wahnsinn. Das ist effektvoll zugespitzt und mündet in scheinbar sinnlo-
sen Aktionen: da werden Hungernde und Kranke über die Bühne getragen, Huren von Soldaten gejagt und entsprungene Übergeschnappte von Pflegern wieder eingefangen. Auf den zarten Frühlingsboten der Schneeglöckchenwiese bleibt der Schnee liegen, so recht kann niemand mehr an das Ende der großen Kälte glauben. Wenn kurzzeitig der Frieden ausbricht, dann wird auch gesät und ein »Sag mir wo die Blumen sind« geht in »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« über Dem Handel der Courage droht dann der Ruin. Es finden sich aber immer wieder welche (Schwedenkönig und katholischer Kaiser geistern durch die Szene), die den Krieg wiederbeleben und die von der eingefügten Hexenfigur angekündigte »Katastrophe« abwenden. Mit dem Krieg verwachsen sind alle Opfer und Täter gleichermaßen. Was recht ist und was nicht, kann eh kaum noch jemand unterscheiden, den Sohn Eilif (Juergen Maurer, der von Leipzig nach Wien gewechselt hat) kostet das sein Leben. Und wenn er nur lange genug dauert, dann findet man auch im Krieg idyllische Momente und schickt sich drein. Wie übel bei alledem besonders den Frauen mitgespielt wird, zeigen überzeugend vor allem Ute Springer als stumme Kattrin und Josefin Platt als Yvette.
Am Ende schauen die Überlebenden des Gemetzels auf die Toten, die sich auf wundersame Weise wieder erheben und die Überlebenden begrüßen. Wie Zuschauer betrachten sie alle gemeinsam von den Stühlen aus die Schaukel, wie das Pendel einer Uhr Als der Schuß einer Kanone fällt, rennen sie alle wieder mit fliegenden Fahnen los, um ihren Schnitt zu machen ... Ein resignativer Schluß. Es ist kein Agitpropremake zum Jubiläum herausgekommen bei dem Spiel der Konstanze Lauterbach mit Brecht, sondern eine ungewöhnliche, leise und auf poetische Art dennoch eindringliche »Courage«.
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