Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Eine Schwimmerin klagt an

Christiane Knacke-Sommer sagte vor dem Gericht in Berlin als Zeugin aus

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Jürgen Holz

Als erste Zeugin im Doping-Pilotprozeß vor der 34. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts sagte am Montag die frühere Schwimmerin Christiane Knacke-Sommer - in Begleitung ihres Anwalts sowie des selbsternannten »Dopingbeauftragten« Prof. Werner Franke aus Heidelberg - aus. Zu Beginn des siebenten Verhandlungstages ließ das Gericht Christiane Knacke-Sommer, die selbst Strafanzeige gestellt hatte, auch als Nebenklägerin zu, so daß sie auch Anträge stellen kann. Als Sachverständige waren der Pharmakologe Prof. Norbert Rietbrock aus Frankfurt (Main), der schon im »Fall Krabbe« als Sachverständiger fungierte, und der Berliner Gynäkologe Prof. Horst Lübbert geladen.

Die heute 36jährige Angestellte, die in zweiter Ehe mit dem Österreicher Gottfried Sommer seit 1988 in Wien lebt, beschrieb auf Befragen der Richters Hansgeorg Bräutigam zunächst ihren sportlichen Werdegang beim SC Dynamo Berlin vornehmlich in der Trainingsgruppe des angeklagten Trainers Rolf Gläser. Die Olympiadritte von 1980 in Moskau und Weltrekordlerin im 100-m-Schmetterlingsschwimmen schilderte, daß sie im Alter von 14, 15 Jahren während des Trainings Tabletten und Spritzen erhalten habe. Zwischen 1977 und 1980 habe sie in unmittelbarer Vorbereitung auf internationale Wettkämpfe »Tabletten und manchmal vier bis fünf Spritzen im Abstand von einer Woche bekommen«. Bei den Tabletten hieß es, das seien »Vitaminpräparate«, bei den Spritzen war von »unterstützenden Mitteln« die Rede.

Knacke-Sommer belastete insbeson-

dere ihren früheren Trainer Rolf Gläser und den damaligen Sektionsarzt Dr. Dieter Binus, der ihr selbst die Spritzen gesetzt haben soll. Von Gläser habe sie die Tabletten bekommen. Der mitangeklagte Sportmediziner Dr. Bernd Pansold sei für die »Kontrolle verantwortlich« gewesen. Einmal habe sie sich weigern wollen, sich von Binus spritzen zu lassen. Daraufhin wurde ihr Trainer herbeigeholt, der darauf bestanden habe. Es habe darüber auch eine strenge Kontrolle gegeben, denn 1978 konnte sie nicht bei den Weltmeisterschaften in Westberlin starten, »weil ich nicht clean war«.

Inwieweit es möglich war, sich dieser Sache zu verweigern, beantwortete Knacke-Sommer mit dem Hinweis: »Wir Schwimmerinnen standen unter einem psychologischen Druck.« Auf die Frage des Richters, ob sie gewußt habe, daß es sich bei den sogenannten »unterstützenden Mitteln« um Oral-Turinabol als Tabletten und um das männliche Sexualhormon Testosteron mittels Spritzen gehandelt habe, antwortete sie: »Nein, uns wurde nur mitgeteilt, daß das unterstützende Maßnahmen< sind.« Es hätte auch keine Gelegenheit gegeben, die Aufschriften der Verpackungen zu erkennen, »denn die Spritzen waren immer vorbereitet«. Unter den Aktiven sei darüber auch nicht weiter gesprochen worden, höchstens über die tiefen Stimmen und den Muskelzuwachs.

Über mögliche gesundheitliche Schädigungen, die sie erlitten habe (Knacke: »Ich habe mich nach den Spritzen nicht gut gefühlt«), wurden in der öffentlichen Verhandlung keine Aussagen gemacht. Die stundenlange Befragung der Zeugin erfolgte unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Danach beschloß das Gericht, daß

sie sich von Prof. Lübbert zu möglichen Schädigungen untersuchen lasse.

Angehört wurde auch Prof. Norbert Rietbrock als Sachverständiger. Er verwies auf unklare Angaben in der Anklageschrift über den Zyklus der Einnahme und über fehlende Nachweise der Einnahme. Auch die Zeugin habe hierzu vielfach widersprechende Angaben gemacht.

Rechtsanwalt Manfred Kehrberg als Verteidiger von Rolf Gläser beantragte, den ersten Ehemann von Knacke-Sommer zu vernehmen. Dabei gehe es darum, ob sich die Zeugin »unterstützende Mittel« selbst besorgt und zudem der Stasi als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) umfangreiche Berichte über ihre Trainer geliefert habe, was sie vor Gericht bestritt.

Die Anhörung der dreifachen Olympiasiegerin Andrea Pollack-Pinske wurde aus zeitlichen Gründen verschoben. Der Prozeß wird am Montag mit der Vernehmung der noch aktiven mehrfachen Weltmeisterin Sylvia Gerasch sowie den früheren Schwimmerinnen Jane Lang und Kerstin Olm fortgesetzt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -