- Politik
- Ein unbeachtetes Jubiläum: 20 Jahre Russell-Tribunal
Bespitzelung und Repression in der BRD angeklagt
Jubiläen haben in dieser Zeit Konjunktur Doch manche Ereignisse, die einmal die Gemüter erhitzt haben, bleiben völlig unbeachtet. So ergeht es offenbar dem 3. Internationalen Russell -Tribunal. Im Mai vor 20 Jahren traf sich die Jury zur ersten Sitzungsperiode in einem Vorort von Frankfurt (Main). Keine Tages- oder Wochenzeitung hat bisher daran erinnert. Das ist sicherlich kein Zufall. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand die Frage, ob in der Bundesrepublik Deutschland Menschen auf Grund ihrer politischen Überzeugung die Ausübung ihres Berufes verwehrt wird.
Das deutsche Wort »Berufsverbot« fand in den 70er Jahren Eingang in den Wortschatz verschiedener europäischer Nationen. Vor allem in den westeuropäischen Nachbarländern konnte kaum jemand verstehen, warum in Westdeutschland ein Kommunist nicht einmal Briefträger werden durfte, während hohe
SS-Leute weiterhin in hohen Positionen saßen. Aber auch in der BRD wurde die Kritik an der Verfaßtheit des Staates immer lauter Anfang Juni 1976 veranstaltete das Sozialistische Büro in Frankfurt (Main) einen gut besuchten Antirepressionskongreß, bei dem auch Besucher aus dem Ausland vertreten waren. Die sozialdemokratischen Intellektuellen Freimut Duve und Klaus Staeck waren im Oktober 1978 Mitherausgeber eines rororo-Bandes unter dem alarmierenden Titel »Briefe zur Verteidigung der Republik«. Selbst der linken Positionen auch damals nicht freundlich gesonnene »Stern« veröffentlichte fast wöchentlich Reportagen über Bespitzelungen, Abhöraffären oder Maßregelungen gegen Linke. Schießlich wandten sich zahlreiche inund ausländische Kritiker an die Russell-Peace Foundation in London. Der englische Mathematiker, Literaturnobelpreisträger und Humanist Bertrand Russell wollte mit der von ihm gegründeten Stiftung den Kampf gegen das Wettrüsten und gegen Ungerechtigkeiten in der Welt unterstützen. Das erste Russell-Tribunal
saß über den Krieg der USA in Vietnam und das zweite über die Militärdiktaturen Lateinamerikas zu Gericht. Prominente Unterstützer wie die französischen Philosophen Foucault und Sartre verschafften dem Tribunal weltweites Renommee. Auch das 3. Tribunal, das sich nun also mit der Situation der Menschenrechte in der BRD befaßte, hatte prominente Unterstützer. In der Jury saßen u. a. der schwedische Friedensforscher Johan Galtung, die ungarische Philosophin Agnes Heller, der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk, der brasilianische Architekt Oskar Niemeyer, der französische Historiker Albert Soboul und aus den USA der Einstein-Nachlaßverwalter Otto Nathan. Aus der BRD waren die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, die Professoren Uwe Wesel und Wolf-Dieter Narr sowie Pastor Martin Niemöller vertreten. Die Unterstützung für das Tribunal ging weit ins liberale Spektrum. Erich Fried, Günther Anders, Ulrich Sonnemann, Ossip K. Flechtheim stehen da neben vielen anderen. Jürgen Habermas lehnte zwar die Teilnahme am Tribunal
ab, verteidigte es aber gegen die massiven Angriffe von Seiten der sozialliberalen Regierung in Bonn, der CDU/CSU-Opposition, des DGB-Vorstandes und eines Großteils der Massenmedien. Ein häufiger Vorwurf lautete, die BRD werde auf eine Stufe mit lateinamerikanischen Militärregimes gestellt. Die Dementis von den Organisatoren wurden ignoriert. In seinem Eröffnungsreferat hatte Vladimir Dedijer erklärt: »Nicht ein Unrechtsregime soll verurteilt werden. Vielmehr gilt es Gefahren erneut und verstärkt kund zu machen, die die unverkürzte Geltung der Menschenrechte bedrohen.«
Die Tribunal-Veranstalter waren peinlich darauf bedacht, die Veranstaltung nach juristischen Grundsätzen zu gestalten. Zwölf vom Berufsverbot Betroffene schilderten ihren Fall. Gutachter, meistens Juristen, gaben der Jury weitere Hintergrundinformationen. Nach der Vorstellung eines jeden Falles stellte die Jury Fragen an die Betroffenen.
Die Bundesregierung wurde mehrmals aufgefordert, die von ihr verantwortete Politik vor der Jury zu verteidigen. Bonn wies dies indes als unverschämte Anma-ßung zurück. Der Pressesprecher der Regierung gab die Parole »niedriger hängen« aus. Das Tribunal sollte nicht durch unnötige Publizität aufgewertet werden. Noch im September 1977 waren in einem Papier des Innenministeriums andere Töne zu hören. »Erwogen werden könnte ein Verbot nach § 5 Ziffer 4 Versammlungsgesetz«, und »einreisenden Ausländern könnte die Einreise verwehrt wer-
den«, heißt es dort. Auch innerhalb der Linken gab es um das Tribunal heftige Kontroversen. Die DKP, deren Mitglieder hauptsächlich vom Berufsverbot betroffen waren, lehnte das Tribunal ab und legte ihren Mitgliedern nahe, sich nicht als Betroffene der Jury zur Verfügung zu stellen. Die Abgrenzung von den das Tribunal tragenden Gruppen der »Neuen Linken« war dafür eine wesentliche Ursache. Ein heftiger Streit entzündete sich an der Frage, ob die Situation der RAF-Gefangenen in den Hochsicherheitstrakten und die Stammheimer Todesnacht zum Gegenstand des Russell-Tribunals werden sollte. Angehörige und Unterstützer der Gefangenen wollten diese Forderung mit einer Kirchenbesetzung in der Nähe des Tagungsortes erreichen. Man einigte sich schließlich auf den Kompromiß, während der 2. Sitzungsperiode des Russell-Tribunals, die im Januar 1979 in Mülheim stattfand, die Einschränkung der Verteidigerrechte und das Kontaktsperregesetz gegen politische Gefangene zum Verhandlungsgegenstand zu machen.
Zur zweiten Verhandlungsrunde jedoch war das öffentliche Interesse schon erheblich gesunken. Die »Neue Linke« befand sich im Umbruch und teilweise auch in Auflösung. Heute wird diese Zeit selbst von ehemaligen Linken merkwürdig verklärt, die Zeit der Bespitzelung und Repression in der BRD kaum noch erwähnt. Kein Wunder also, daß an die Arbeit des 3. Russell-Tribunals nicht mehr erinnert wird.
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