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  • Politik
  • Argentinien und Hitlerdeutschland - Unheilvolle Allianz

Buenos Aires als Fluchtburg für Kriegsverbrecher

  • Willi Israel, Montevideo
  • Lesedauer: 6 Min.

Oberst Perön (2.V.I.), Anhänger von Hitler und Mussolini, stürzte vor 55 Jahren, im Februar 1944, die Ramirez-Regierung, die die Beziehungen zu Hitlerdeutschland abgebrochen hatte. Als Mitglied der neuen Regierung unter General Farrell (am Schreibtisch) nahm er den Kontakt zu Berlin wieder auf und verhalf nach der Niederlage des deutschen Faschismus Nazis zur Flucht nach Argentinieri

Foto aus: »Evita«, Rütten & Loening 1997

Die Bildung eines von Argentinien angeführten Staaten-Blocks gegen den US-Einfluß in Südamerika war, laut Erklärungen des ehemaligen Chefs des Nazi-Sicherheitsdienstes Walter Schellenberg, Hauptanliegen des deutschen Geheimdienstes in Lateinamerika. Ein jüngst in Buenos Aires erschienenes Buch von Uki Goni »Perön und die Deutschen« bringt mit einer ausführlichen Dokumentation den Nachweis hierfür.

»Der Kampf Hitlers - im Krieg oder im Frieden - wird uns Vorbild sein. Dabei sind die Bündnisse mit Paraguay, Bolivien und Chile, später Uruguay, von großer Bedeutung«, heißt es in einem von Oberst Juan Perön verfaßten Manifest der Gruppe Vereinter Offiziere (GOU) vom 3. Mai 1943. Im April 1943 fand in der Wohnung des deutschen Unternehmers Hans Harnisch in der Pedro Goyena Str 2351 in Buenos Aires eine Beratung statt, an der auch der SS-Hauptsturmführer Siegfried Becker und von argentinischer Seite der Leutnant der Marine Eduardo Aumann teilnahmen. Harnisch, gebürtigter Hamburger, lebte seit 1920 in Argentinien und trat 1939 in die NSDAP ein. Wie aus den jetzt von Uki Goni enthüllten Aussagen von Becker und Harnisch, die sie bei Verhören während ihrer späteren Inhaftierung gemacht hatten, hervorgeht, war als vorrangige Aufgabe aus Berlin vorgegeben worden, die Kontakte und Koordinierung zwischen den Kräften des Widerstandes gegen die US-Politik in Südamerika zu stärken. Besonders unter den nationalistisch orientierten Offizieren in Argentinien, aber auch in anderen Ländern, konnte man auf breite Sympathie mit Hitler-Deutschland rechnen. Die »Angelegenheit Paraguay« war bereits im Septembep 1942 Gegenstand einer Beratung mit dem Militär-Attache. der deutschen Botschaft in Buenos Aires, Kapitän zur See Dietrich Neubuhr, gewesen. Es wurde beschlossen, in Paraguay geheime Funkanlagen einzurichten. Mehrere Grundstücke wurden erworben, auf de-

nen die Sender von dem SD-Agenten Wolf Franczok installiert wurden.

Das breite Spionagenetz der Nazis in Argentinien und den Nachbarländern wurde von der deutschen Botschaft in der Leandro Alem-Str. 168 finanziert. Die Finanzen lagen in Händen des mit Oberst Perön befreundeten und mit der Tochter des Millionärs und Intimus Peröns, Ludwig Freude, verheirateten Deutsch-Argentiniers Werner Koennecke.

Die GOU-OffizjersIoge, in der Oberst Peron eine herausragende Rolle spielte, beschloß im September 1943, den Geheimagent der argentinischen Marine Osmar Hellmut, der seit Jahren mit Harnisch und Becker zusammenarbeitete, nach Berlin zu entsenden. Dort sollte Hellmuth von Himmler und Hitler empfangen werden, um die Positionen Argentiniens darzulegen: Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen sei umwahrscheinlich. Sollte dies dennoch geschehen, so »werde die argentinische Re-

gierung die freundschaftlichen Beziehungen mit Berlin weiter pflegen«. Hellmuth war außerdem beauftragt, Waffen in Deutschland zu kaufen. Der Bote erreichte indes sein Reiseziel nicht. Die amerikanische Aufklärung hatte geheime Funksprüche abgefangen. Hellmuth wurde von den Engländern in Trinidad festgenommen und auf ein britisches Kriegsschiff in englische Gefangenschaft gebracht. Seine Aussagen wurden von den USA benutzt, um den Druck auf Argentinien zum Abbruch der Beziehungen mit Berlin zu verschärfen. Präsident Roosevelt kündigte harte Maßnahmen, militärische wie ökonomische, an, um Buenos Aires in die Knie zu zwingen.

Die Offiziere des GOU, von Perön angeführt, setzten weiter auf Deutschlands Unterstützung, zumal Rheinmetall-Borsig via Spanien die Lieferung von zwölf Flakgeschützen angekündigt hatte. Doch der 25. Januar 1944 sollte ein schwarzer Tag für sie werden: Die Regierung gab den

Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Nazideutschland bekannt, Perön protestierte in der Casa Rosada: »Das ist das Ende Ihrer Regierung«, erklärte er Präsident Ramirez.

Perön stellte sich an die Spitze der nationalistischen Offiziere, die ihre Unzufriedenheiten mit dem Abbruch der Beziehungen nicht verheimlichten. »General Ramirez, Sie sitzen auf einem Pulverfaß und rauchen eine Zigarette«, drohte Perön. Und machte die Drohung wahr. Der erste Schritt zur Absetzung des Präsidenten war am 15. Februar 1944 die Entlassung des Oberst Gonzalez und des Generals Gilbert, Verantwortliche für den Abbruch der Beziehungen mit Berlin. Am 24. Februar trat General Ramirez von seinem Amt als Präsident zurück. General Edelmiro Farrell wurde Chef in der Casa Rosada. Kurz darauf nominierte er Perön als Verteidigungsminister, dann wurde dieser auch zum Vizepräsidenten Argentiniens ernannt. Perön war nun »zweifelsohne der starke Mann im Lande«, wie Uki Goni in seinem Buch bemerkt.

Oberst Arturo Brinkmann, Vertrauter und Verbindungsmann Peröns zum deutschen Sicherheitsdienst, informierte den SD-Chef Theodor Paeffgen, daß die Gestürzten, Ramirez, Gilbert und Gonzalez, schon seit längerem die Idee des argentinischen Blocks sabotiert und mit der US-Regierung über den Abbruch der Beziehungen mit Hitler-Deutschland verhandelt hätten. Otto Reinebeck, verant-

wortlich für Lateinamerika im Berliner Auswärtigen Amt, registrierte mit Genugtuung, daß Perön »nach wie vor die Freundschaft mit Deutschland als die wirkliche Politik seines Landes betrachte« und SD-Agenten, die unter Ramirez inhaftiert worden waren, auf freien Fuß gesetzt habe.

Die Regierung Farrell-Perön brachte jedoch Argentinien Anfang 1944 in die politische Isolierung. Schließlich mußte auch Perön schweren Herzens Hitler-Deutschland den Krieg erklären, denn es »blieb uns keine Wahl... Wir taten das mit ihrem Konsens und ihrer Zustimmung, es war eine rein formale Sache«. 1967 erklärte Perön gegenüber Journalisten, daß die Kriegserklärung an Deutschland die Flucht hoher Nazis nach Argentinien möglich machen sollte. »Obwohl es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, unsere Kriegserklärung begünstigt Deutschland ..., gibt uns die Möglichkeit, mit unseren Flugzeugen und Schiffen zu helfen ... Wir taten das, was man von uns erwartete.« Die Schweiz und Spanien vermittelten zwischen Buenos Aires und Berlin. So konnten zahlreiche Nazis problemlos in Argentinien untertauchen.

Uki Goni berichtet: »Bereits 1944 hatte die Kollaboration bei der Flucht bekannter Nazis nach Argentinien begonnen. Argentinische Pässe wurden vom Konsulat in Lissabon ausgestellt. Nur der Geburtsort des jeweiligen Besitzers war Buenos Aires. Auch das argentinische Generalkonsulat in Barcelona stellte Pässe aus, zum Preis zwischen 5000 und 7000 Dollar. Der Transport nach Argentinien wurde von den Schiffen der Linie von Dodera, der ein alter Freund Peröns war, übernommen. Ein »prominenter« Passagier der Dodera-Linie war der KZ-Arzt Josef Mengele, der sich 1949 in Barcelona auf die Reise nach Buenos Aires begab. Die meisten Nazi-Flüchtlinge nahmen über den Vatikan den Weg nach Argentinien. Um die Anträge auf Einreise nach Argentinien zu beschleunigen, ernannte Perön den Priester Jose Clemente Silva, Bruder seines Freundes und ultrarechten Generals Oscar Silva, zum Beauftragten für »Immigrationsangelegenheiten« in Italien. Uki Goni schreibt, daß Silva befugt war, die Einreise von monatlich 30 000 Europäern zu »organisieren«.

1950 wurde die Argentinische Gesell--sohaft-für-Projektierung und Realisierung (CAPRI), unter Leitung des ehemaligen ?SD-Agenten Karl Fuldner gegründet, um Arbeit für die zunehmende Anzahl von »Immigranten« zu suchen. Das geschah zu einer Zeit, als Argentinien Juden die Einreise verweigerte.

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