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  • Politik
  • Vor 55 Jahren: Der Sturz von Canaris

Die Legende vom guten Abwehrchef

  • Klaus Jaschinski, Berlin
  • Lesedauer: 5 Min.

Admiral Canaris

Foto: AKG Pressebild

Wegen »nachrichtendienstlicher Pannen« sei Admiral Wilhelm Franz Canaris als Chef der Abwehr auf Geheiß Hitlers von seiner Funktion entbunden, wurde offiziell mitgeteilt. Die Entscheidung vom 12. Februar 1944 hätte angesichts der mißlichen Lage an den Fronten sicher nicht allzu großes Aufsehen erregt, wäre von ihr nicht ein prominenter Geheimdienstler betroffen gewesen, über den schon damals reichlich Gerüchte kursierten. Was waren die Hintergründe?

Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages war Deutschland zwar die Schaffung eines militärischen Nachrichtendienstes untersagt gewesen, aber bereits 1920 entstand im Reichswehrministerium eine kleine Gruppe, die sich der Gegenspionage widmete und unter der Bezeichnung »Abwehr« firmierte. Ihr oblag es, reichswehrinterne Vorgänge nebst Aktivitäten zur geheimen Wiederaufrüstung vor neugierigen Blicken von außen abzuschirmen. Mit eher spärlichen Mitteln ausgestattet, ähnelte sie mehr einem exklusiven Klub von Sicherheitsleuten, die wohl eifrig Informationen sammelten und Dossiers anlegten, aber kaum über hochkarätige Informanten, geschweige denn über ganze Agentennetze im Ausland verfügten. Dieser Zustand hielt bis zur Machtergreifung durch die Nazis an und änderte sich erst nach der Berufung von Canaris zum Abwehrchef Anfang Januar 1935.

Bereits während des ersten Weltkrieges mit konspirativer Tätigkeit und dann als Freikorpsaktivist sowie Teilnehmer am Kapp-Putsch hatte sich Canaris als hartgesottener Antikommunist hervorgetan. Insbesondere Admiral Erich Raeder machte sich stark für dessen Ernennung zum Abwehrchef. Unter Canaris' Leitung gedieh die Abwehr zu einem modernen Nachrichtendienst, zu einem Instrument der Kriegsvorbereitung und -führung.

Mit dem Großmacht- und Revanchestreben der Nazis kam Canaris sehr wohl zurecht. Er bestärkte Hitler, in Spanien auf Seiten Francos in den Bürgerkrieg einzugreifen. Nach nur vier Monaten im Amt wurde er bereits befördert, vom Kapitän zum Konteradmiral. Mochten ihn nach der Fritsch-Affäre Anfang 1938, dem »Anschluß« Österreichs, der Sudetenkrise und dem Überfall auf Polen auch düstere Vorahnungen beschlichen haben, aktiver Widerstand gegen das NS-Regime resultierte daraus jedoch längst noch nicht. Vielmehr nutzte Canaris die ihm gegebenen Freiräume weidlich aus, traf aber auch Vorkehrungen, um sich und seine Behörde vor Anfeindungen - welcher Art und von welcher Seite auch immer - zu wappnen.

Zwar hatte er mit Reinhard Heydrich, dem Chef der politischen Geheimdienste, beizeiten einen modus vivendi zur Abgrenzung der Kompetenzen gefunden, doch fuhren beide fort, hintereinanderher zu spionieren und Intrigen zu schmieden. Dem Gedanken, die Abwehr dem Reichssicherheitshauptamt einzuverleiben und zu unterstellen, frönte Heydrich schon 1938. Nur zum Zug kam er damit

nicht, zumal es Canaris im Aufwind der militärischen Anfangserfolge trefflich verstand, sich Widersacher in den Reihen der SS auf Distanz zu halten.

Nach dem Ausbleiben weiterer Erfolge und sich häufender Niederlagen an den Fronten trat jedoch immer deutlicher zutage, daß die Arbeit der Abwehr oft nur auf Improvisation, Glück und Ausnutzung von Fehlern und Versäumnissen der Feindseite beruhte. Empfindliche Schlap-

pen, wie bei Versuchen, größere Agentengruppen nach Großbritannien und in die USA einzuschleusen oder die IRA zu Handlangerdiensten einzuspannen, taten ein übriges und ließen Canaris' Gunst bei Hitler und anderen NS-Gewaltigen merklich schwinden. Schon Ende 1942 erwog der »Führer« dessen Absetzung. Daß es dazu im Februar 1944 kam, hatte Canaris noch anderen zu verdanken.

Im Spätherbst 1943, vor allem nach der alliierten Gipfelkonferenz in Teheran, als Hitler noch unverdrossen an den »Endsieg« glaubte, schienen Himmler und andere SS-Führer »kalte Füße« zu bekommen. Sie versuchten nun, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen und den Westalliierten der Anti-Hitler-Koalition gar die SS (!) als Partner für Waffenstillstands- und Friedensgespräche anzubieten. Da die Abwehr von Canaris über ergiebige Informationskanäle zur Feindseite verfügte, wollten sie diese unbedingt unter ihre Kontrolle bringen. Leichtes Spiel schien sicher, machte doch der Abwehrchef einen erschöpften Eindruck, wirkte depressiv, apathisch. Von daher konnte Canaris übrigens auch für die Männer des 20. Juli 1944 keine Galionsfigur sein, wie immer wieder behauptet wird. Abgesehen davon, daß deren Attentatsplan höchste Vorsicht gebot; in der Umgebung von Canaris aber wimmelte es nur so von Spitzeln.

Nach dem mißglückten Anschlag Stauffenbergs bekamen Himmlers Schergen endlich freie Hand, um gegen Canaris vorzugehen. Auf Weisung von Ernst Kaltenbrunner und Heinrich Müller von der Gestapo nahm Walter Schellenberg vom SD Anfang August 1944 die Verhaftung von Canaris vor, der sich bereits seit dem 23. Juli unter Hausarrest befand. Durchsuchungsaktionen erbrachten zunächst nicht viel. Erst am 4. April 1945 soll ein fast 10 000 Seiten starkes Tagebuch von

Canaris aufgetaucht sein (seitdem verschollen). Zusammen mit den am 22. September 1944 requirierten Abwehr-Unterlagen erschien dies Himmlers »Verhörspezialisten« ausreichend, um den ehemaligen Abwehrchef des Verrats zu überführen. Auf Befehl Hitlers durch ein SS-Standgericht zum Tode verurteilt, wurde Canaris am Morgen des 9. April 1945 im KZ Flossenbürg gehängt.

Daß der SD als Unterorganisation der SS im Ergebnis der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als verbrecherische Organisation gebrandmarkt wurde und die Abwehr nicht, gab der späteren Legendenbildung um die »gute« Abwehr und den »bösen« SD zwar reichlich Auftrieb, verhalf ihr letztlich aber dennoch nicht zu einer »weißen Weste«. In Gestalt der Division (vormals Regiment) »Brandenburg« und der Geheimen Feldpolizei hatte die Abwehr über eigene Kampfverbände verfügt, die sich aktiv an Verbrechen beteiligt hatten. Auch die einstige Rekrutierung von deutschen Hitlergegnern, Kriegsgefangenen und Juden durch die Abwehr war gewiß nicht als Rettungsaktion für jene gedacht gewesen. Auch wenn später die Hoffnung mitspielte, jene derart sicherem Tod in Nazideutschland Entkommene nach der Niederlage als Entlastungszeugen anrufen zu können.

Einige ehemalige Mitarbeiter in den Chefetagen der Abwehr kamen denn auch zu ihrem »Persilschein«. So Reinhard Gehlen, der sich mit eiligst beiseitegeschafften Abwehr-Unterlagen über die Sowjetunion bei den Amerikanern lieb Kind zu machen verstand. Im April 1956 avancierte er zum Leiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Zwei Jahre zuvor war aucli sein ehemaliger Dienstherr posthum zu Ehren gelangt - rehabilitiert durch einen Film mit 0. E. Hasse in der Rolle des Canaris.

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