Erinnerungen
Jüdisches Waisenhaus
Er erinnert an den Typus Lehrer, den Diederich Heßling, der »Untertan«, fürchtete und zugleich bewunderte - der erste Direktor des Jüdischen Waisenhauses in Berlin-Pankow, Isidor Grunwald. Er legte großen Wert auf Exerzieren und Körperertüchtigung: »Links-um, Rechts-um«, zack-zack. Die Zöglinge trugen Uniformen. Grunwald konnte wohl seine eigene Militärzeit als Offizier nicht vergessen, vermutete dessen Enkel Walter. Aber »Großvater« Grunwald konnte auch warmherzig sein. Jeden Abend sagte er jedem seiner Schützlinge persönlich »Gute Nacht« - und es waren deren immerhin über 100.
Die Geschichte des Pankower Jüdischen Waisenhauses erzählt sachkundig und einfühlsam Inge Lammel. Ihrem Engagement, ihren emsigen Recherchen in Archiven und ihrer Suche nach ehemaligen Schülern und Lehrern rund um den Globus ist es maßgeblich mit zu verdanken, dass im Frühjahr dieses Jahres im historischen Gebäude eine Erinnerungsstätte an das von den Nazis 1940 aufgelöste Heim eröffnet werden konnte. Über ein halbes Jahrhundert hatte es jüdischen Kindern eine solide Schul- und Berufsausbildung und auch Momente unbeschwerten Frohsinns geboten im immer kälter und bedrohlicher werdenden Deutschland.
Wie Inge Lammel informiert, hatte nach dem Tod von Grunwald 1925 dessen Schwiegersohn Max Blumenfeld die Leitung des Hauses übernommen. »Mit ihm zog ein freiheitlicher Geist in die Erziehung«. Blumenfelds Nachfolger wurde 1936 der einstige Zögling und nunmehrige Lehrer Kurt Crohn, »der die Anstalt unter den sich stetig verschärfenden politischen Bedingungen mit viel Mut und Umsicht bis zum erzwungenem Ende leitete«. Wie die Autorin im Anhang erinnert, wurde Crohn in Auschwitz ermordet - wie so viele seiner Kollegen und Schüler.
Zur Wiedereröffnung des Hauses waren einstige Zöglinge aus aller Welt angereist. Die wenigen Überlebenden der Shoah genossen es, auch einmal nicht nur düstere Kindheitserinnerungen auszutauschen.
Inge Lammel: Das Jüdische Waisenhaus in Pankow. Seine Geschichte in Bildern und Dokumenten. Mit einem Geleitwort von Hermann Simon. Hg. v. Verein der Förderer und Freunde des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses in Pankow und dem Bund der Antifaschisten Berlin-Pankow. 103S., br., 15DM. zu beziehen über den Verein Wollankstr. 35, 13187 Berlin.
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