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Die Wahl in Finster- walde-Ost

  • Lesedauer: 4 Min.

Martin Buchholz

Moderator: Wir schalten noch einmal um zu Eva-Maria Heintze nach Finsterwalde-Ost, wo sich die Spitzen-Kandidaten zu einer letzten ORB-Wahlanalyse am ORB-Parteien-Stammtisch versammelt haben. Hallo, Eva-Maria! Reporterin: Hallo, Klaus Dieter und guten Abend nach Potsdam-Süd. Zunächst begrüße ich den Spitzel-Kandidaten... ähh...

Alle (im Chor, wenn auch asynchron, soll heißen: jeweils mit verzögertem Lippenbekenntnis): Das mit dem Spitzel verbitte ich

mir... Ich habe mich selbst dreimal ganz unabhängig untersucht, und bis heute ist nichts rausgekommen... So lass ich mich nicht behandeln... Das hat ein Nachspiel...

Reporterin: Sorry. Das war echt ein Labskaus Linguae... PDS-Mann: Das haben wir hier früher nicht gekannt. Sie sind wohl ein Wessin, so eine wie der Schönbohm... CDU-Mann: Ich protestiere auf das Aller?entschiedendste, dass unser General Schönbohm hier als Wessin diffamiert wird. Das sind die Wahlkampfmethoden der SED-Nachfolge-Partei: Indirekt wird unser General Schönböhm auf diese Weise als homosexuell diffamiert. DVU-Mann (skandiert mechanisch): Keine schwulen Arbeitsplätzefür deutsche Arbeiter! Schwule raus aus Brandenburg! CDU-Mann (vorwurfsvoll zum DVU-Kandidaten): Fang du nicht auch noch an, Willy. Unser General Schönbohm ist nicht schwul. Dass er mal in dieser Männergruppe war, Gott, das kannste ihm doch nicht ständig vorwerfen... DVU-Mann (tröstend zum CDU-Mann): Das hast du falsch verstanden, Erwin. Wir als DVU stehen voll hinter unseren Kameraden in der Bundeswehr und auch voll hinter dem Kameraden Schönbohm. Er ist bloß in der falschen Partei. CDU-Mann (an sich selbst gewandt): Ich protestiere auf das Aller energischste... PDS-Mann (höhnisch zum CDU-Mann): Jetzt reg dich nicht auf, Erwin, wir waren doch alle mal in der falschen Partei, wenn du dich noch dunkel erinnerst. SPD-Mann (zum PDS-Mann):

Und ich sag dir, Gerhard, wenn euer Bisky nicht noch in der falschen Partei war, hätten wir unsere absolute Mehrheit absolut steigern können. Reporterin (zum SPD-Mann): Das wird jetzt doch etwas sehr intim. Aber vielleicht haben Sie sonst noch was zu sagen. SPD-Mann: Ja, also, zunächst einmal möchte ich allen Wählern und Wählerinnen danken, und auch den vielen Wahlhelfern, die diesen beeindruckenden Wahlsieg... Reporterin: Aber, Moment mal. Wahlsieg? Sie haben doch... ja, wie soll ich es sagen, damit es nicht allzu hart klingt... nun, meine journalistische Sorgfaltspflicht gebietet es mir, und ich hoffe, die Zentrale stimmt mir zu... (in den Kopfhörer lauschend) jaaa, danke, ich höre, wir haben das Okay, also deshalb will ich ohne Umschweife fragen: Haben Sie nicht unglücklicherweise doch vielleicht zwei, drei Stimmen verloren? SPD-Mann: Nun ja, »verloren« scheint mir denn doch ein hartes Wort. Sagen wir es so: Wir haben diese Stimmen zugegebenermaßen, und das sage ich ohne jedes Wenn und Aber, denn in der Analyse müssen wir auch schonungslos mit uns selber sein: Ja, tatsächlich haben wir diese Stimmen möglicherweise nicht ganz gewonnen. Doch, und das kann ich gar nicht nachdrücklich genug betonen: Auch das liegt nicht an der SPD und schon gar nicht an unserem Ministerpräsidenten. Nein, das liegt allein an einem bestimmten Altbundesbürger. Und weiter will ich mich dazu gar nicht äußern. Reporterin: Ich denke doch,

dass wir unseren wenigen Zuschauern etwas mehr an Offenheit schuldig sind. Entschuldigen Sie bitte deshalb, wenn ich unerbittlich nachbohre. Ich wage also ganz kühn die Behauptung aufzustellen, dass man fast geneigt sein könnte, die vielleicht abwegige Vermutung zu hegen, dass Sie soeben andeutungsweise den Herrn Bundeskanzler anzusprechen versucht haben könnten. SPD-Mann: Wie? Was? Wen? Welchen Bundeskanzler? Reporterin: So leid es mir tut. Meine publizistische Unabhängigkeit zwingt mich, noch weiter zu gehen und Sie knallhart mit der Frage zu konfrontieren: Heißt dieser Kanzler nicht möglicherweise Schröder? SPD-Mann (japst entsetzt): Ich kann nur sagen, dass die SPD in Brandenburg niemals irgendetwas mit diesem so genannten Herrn Schröder zu tun hatte. Und für den Fall, dass im nächsten »Spiegel« wieder eine vermeintliche Enthüllungsstory erscheint - von wegen, dass ein gewisser Stolpe gelegentlich bei konspirativen Treffs einen gewissen Schröder kontaktiert haben soll, dann will ich hier schon vorab klarstellen: Falls solche Treffen unglücklicherweise irgendwo dokumentiert sein sollten, wäre die Ähnlichkeit dieser beiden Persönlichkeiten mit sich selber eine rein zufällige. Reporterin: Damit ist wohl jede Unklarheit beseitigt. Ich gebe also zurück nach Potsdam-Süd, und sage nur noch: Gute Nacht, Brandenburg!

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