Honorar-König Steinbrück und die Demokratie

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Liste des Peer Steinbrück ist lang: „73 Vorträge mit einem Honorar von jeweils über 7000 Euro hat er in der aktuellen Legislaturperiode gehalten und damit mindestens eine halbe Millionen Euro eingenommen", rechnet der "Focus" vor. Aber das ist noch längst nicht die ganze Geschichte. Diese und auch politisch womöglich wichtige Details zu erfahren, reichen die geltenden Regeln für Abgeordnete nicht aus, meint nun nicht nur die Linkspartei. Niemand wisse, wie viel Geld der sozialdemokratische Kanzlerkandidat für seine umfangreiche Rednertätigkeit wirklich erhalten habe: Angegeben werden müssen derzeit lediglich verschiedene Stufen, welche die jeweiligen Nebeneinkünfte erreichen. Steinbrück, der oft bei Banken auftrat, hat dafür in vielen Fällen jeweils mindestens 7.000 Euro erhalten. Wie viel genau, ist bislang nicht bekannt.

Linksfraktionsvize Ulrich Maurer hat deshalb vorgeschlagen, „noch in dieser Legislatur über die Einführung einer Steinbrück-Klausel im Abgeordnetengesetz" abzustimmen. „Wer von einem Unternehmen mehrmals für einen Vortrag über 7.000 Euro kassiere", so Maurer in der Leipziger Volkszeitung, „wird wohl kaum für seine Leistung bezahlt." Steinbrück riet er, nicht zu warten, „bis die ersten Forderungen nach Veröffentlichung seiner Steuererklärungen laut werden". Ähnlich äußerte sich CSU-Chef Horst Seehofer. „Wer Transparenz von anderen, etwa von den Banken einfordert, muss sich daran messen lassen und darf sich auch nicht wundern, wenn sie von ihm persönlich eingefordert wird", zitiert "Bild" den Bayer.

Mit Sicherheit nichts anderes gesagt?

Steinbrück hat indirekt bereits darauf reagiert: Er werde seine Einkommensbescheide nicht veröffentlichen, sagte er im ZDF. Zur Begründung verwies er auch auf die gemeinsame steuerliche Veranlagung mit seiner Gattin. „Und ich werde meine Frau immer schützen im Hinblick darauf, was privat bei uns an Vermögens- oder Einkommenssituation vorliegt." Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Frank-Walter Steinmeier, reagierte am Montagabend - lustiger Weise am Rande eines Vortrags - auf die Frage, ob der Wahlkampf der SPD durch die Kritik an Steinbrücks Redehonorare belastet werden könnte mit den Worten: „Das ist doch Quatsch." Bei seinen Auftritten bei Banken habe der frühere Finanzminister, so wird Steinmeier zitiert, „mit Sicherheit nichts anderes gesagt" als er jetzt in der Öffentlichkeit sage.

Mit Sicherheit? Man darf gespannt sein, ob sich Zuhörer von der BNP Paribas, der Citigroup, der Credit Agricole, der Deutschen Bank, von J.P. Morgan oder dem Union Investment Privatfonds im laufenden Wahlkampf noch daran erinnern, was Steinbrück bei seinen Auftritten erklärte. Für mehr Transparenz sorgen könnten die Abgeordneten eigentlich selbst - indem sie die seit langem blockierte Neuregelung der Veröffentlichungspflichten wieder aufnehmen und damit den Weg für die genauere Angabe von Einnahmen über 7.000 Euro freimachen. Der sogenannten Rechtsstellungskommission, einer Runde von acht Bundestagsabgeordneten, liegt schon länger eine entsprechende Transparenznovelle vor. Doch die wurde immer wieder vertagt, aus teils aberwitzigen Gründen.

Wahrheit, Transparenz, Glaubwürdigkeit

Angesichts der Geschichte der parlamentarischen Selbstkontrolle wird man allerdings kaum erwarten dürfen, dass sich hier schnell etwas in die richtige Richtung bewegt. Politisch gibt es keine guten Argumente dagegen, dem Souverän wenigstens bekannt zu machen, ob ein „Volksvertreter" für eine Rede bei einem Finanzdienstleister 7.001 oder 78.000 Euro erhalten hat. Über das dünne Eis der wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Politikern, über direkte oder indirekte Einflussnahme von Unternehmen und Privatpersonen auf Fragen der res publica - über all das ist in den vergangenen Monaten viel diskutiert worden. Als ein Privatdarlehen an den inzwischen über die Affäre gestürzten Bundespräsidenten Christian Wulff bekannt wurde, fragte SPD-Fraktionschef Steinmeier „ob er so noch die notwendige Unabhängigkeit hat" und erklärte, „Wahrheit und Transparenz" seien „der einzige Weg, um Glaubwürdigkeit zu behalten".

Das ist aus der Perspektive der Parteipolitik gesprochen. Glaubwürdigkeit ist deren symbolisches Kapital im Rennen um Mandate. In Wahrheit geht es hier aber um viel mehr: um ein kontrollierbares Maß demokratischer Unabhängigkeit, um das Fundament repräsentativer Verfahren, in denen die Interessen der Mehrheit überhaupt eine Chance haben. Steinbrück sagt, er habe alle erhaltenen Gelder stets höchst penibel versteuert und nach den Regeln des Bundestags veröffentlicht. Es gibt bisher keinen Anlass, daran zu zweifeln. Ob Steinbrück tatsächlich in den vergangenen Jahren vor irgendwelchen Bankern bereits Grundzüge seiner zum Wahlkampf veröffentlichten Regulierungsvorstellungen ausgebreitet hat, ist das eine. Ob er die intellektuelle Redlichkeit und politische Stärke besitzt, seinen Kurs unabhängig von sechsstelligen Nebeneinkommen zu setzen, wird man sehen.

Deckelung von Nebeneinkünften

Der sozialdemokratische Spitzenkandidat hat inzwischen angekündigt, nun auf Redehonorare verzichten. Das kann man begrüßen, die Tatsache dass er es bisher nicht für falsch hielt, Tausende Euro nebenher einzustreichen, ist ausreichender Grund, jetzt für alle gültige Regeln durchzusetzen. Nichtregierungsorganisationen fordern seit langem eine Präzisierung der Veröffentlichungspflichten aller Nebeneinkünfte, von einer Verschärfung der Regeln kann angesichts des gegenwärtigen Laissez-faire kaum die Rede sein. Erst im Juni dieses Jahres schrieben Campact, Transparency International, LobbyControl und Mehr Demokratie in einem gemeinsamen Brief an die Mitglieder der Rechtsstellungskommission im Bundestag: „Eine Veröffentlichung aller Nebeneinkünfte ab dem ersten Euro auf Heller und Pfennig würde die meiste Klarheit bringen und Beispiele aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass dies möglich ist", heißt es darin. „Nebentätigkeiten, die Lobbyarbeit enthalten oder Abgeordnete auf andere Weise in Interessenkonflikte bringen können, müssen verboten werden und eine Deckelung der Nebeneinkünfte ist ebenfalls zu diskutieren."

Der Fall Steinbrück bietet dafür noch einmal einen dringenden Anlass. Nicht weil Wahlkampf ist und auf diesem Wege schlagzeilenträchtige Kritik an der SPD geübt werden kann. Sondern weil es um die Rückeroberung von ein paar essentiellen Standards in der parlamentarischen Demokratie geht.

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