»Wie in Holland vor 20 Jahren«
Im Erzgebirge lassen sich immer mehr Niederländer nieder - nicht zuletzt wegen der Gemütlichkeit
Ein wenig ungewohnt sieht es schon aus. Auf dem Marktplatz des Erzgebirgsstädtchens Jöhstadt wehen vor dem Rathaus-Hotel eine deutsche und eine niederländische Flagge. Die Auflösung des Rätsels liefert das Ehepaar Besseling. »Wir sind 2008 von Holland hierher ins Erzgebirge gekommen und haben das Hotel übernommen«, sagt Petra Besseling. »Trotzdem bleiben wir natürlich Holländer«, ergänzt Ehemann Perry die Frage nach der Flagge, »außerdem sieht es so viel internationaler aus.«
Die beiden Mittvierziger hatten in den Niederlanden jahrelang in der Gastronomie gearbeitet. Da sei irgendwann die Frage aufgekommen, warum machen wir nicht selbst etwas auf. Weil in Holland die Startchancen schwierig waren, schaute sich das Ehepaar im Ausland um und landete in Jöhstadt.
»Das Erzgebirge ist eine Region mit Zukunft«, schwärmt Petra Besseling. Der Tourismus hier habe noch Riesenpotenziale. Außerdem hätten sich die beiden auf Anhieb in die Gegend verliebt. »Hier ist es noch so, wie es in Holland vor 20, 30 Jahren war. Nicht so ein Stress, die Leute reden miteinander. Du kannst dein Fahrrad auch mal nachts unangeschlossen vor dem Haus stehen lassen und es ist am Morgen noch da«, sagt Petra. Mit ihrer Begeisterung haben die Besselings viele ihrer Landsleute anstecken können. Zu fast jeder Jahreszeit sieht man auf dem Jöhstädter Marktplatz parkende Autos mit holländischen Kennzeichen. 700 Übernachtungen brachte das allein in diesem Jahr. Auch der Bürgermeister ist froh über die beiden Neubürger. Sie hätten auch jenseits des Hotels das Leben in Jöhstadt bereichert, sagt Holger Hanzlik. Die Besselings seien im Ort gut aufgenommen worden und ihre beiden Söhne hätten sich wunderbar integriert. Das kann Petra Besseling nur bestätigen: »In den ersten drei Wochen nach der Eröffnung hat bestimmt jeder Jöhstädter bei uns im Restaurant gegessen und sich persönlich vorgestellt«. Auch die Jungs hätten sich prima eingelebt, ergänzt Perry Besseling. Beide spielten in der hiesigen Fußballmannschaft. Der Große sei sogar zum stellvertretenden Klassensprecher gewählt worden.
Dass die Niederländer Angst vor Überflutung haben und deshalb in die Berge fliehen, ist eher ein Scherz. Vielmehr dürfte es an den extrem niedrigen Immobilienpreisen und der herrlichen Natur liegen, dass immer mehr den Weg nach Sachsen finden. Auch in Marienberg, Rechenberg-Bienenmühle, Neuhausen und anderen Erzgebirgsorten melden die Gemeindeämter Zuzug aus den Niederlanden. Hinzu kommen viele, die sich alte Fachwerkhäuser kaufen, diese renovieren und als Urlaubsdomizile nutzen.
Henk van Loo kam eher zufällig ins Erzgebirge. Der 69-jährige Orgelfan reiste 2007 mit anderen holländischen Orgelfreunden auf den Spuren Gottfried Silbermanns in Sachsen. Van Loo war von Anfang an begeistert und meinte, da wo es Silbermann gefallen habe, müsse es auch ihm gefallen. Bei der Suche nach einer geeigneten Bleibe stieß er zusammen mit seiner Frau auf die seit der Jahrhundertflut 2002 geschlossene Gaststätte Teichhaus in Holzhau. Van Loo, der - wie er sagt - in seinem Leben alles dem Zufall überlassen hat, überlegte nicht lange und startete mit 65 noch einmal durch.
Ein halbes Jahr später eröffnete Familie van Loo das Teichhaus und machte es wieder zu dem beliebten Ausflugsziel, das es früher schon war. Dem Orgelspielen blieb er treu, auch wenn er jetzt kaum noch Zeit dazu hat. »Wir sind froh, dass wir hier sind. Die Luft ist rein, das Wasser ist klar - was brauchen wir mehr?«, fragt der Holländer.
Doch der gemütliche Mann kann auch anders. So kämpft van Loo energisch gegen den Plan, auf der böhmischen Seite des Erzgebirges einen riesigen Windpark zu errichten. Zusammen mit seinen Mitstreitern hat er Hunderte Unterschriften gegen das Projekt bei der zuständigen Ministerin in Prag abgegeben. Derzeit liegt das Projekt auf Eis. Auch wenn er Holländer sei - auf Windmühlen hier in dieser herrlichen Gegend könne er gut verzichten, sagt van Loo.
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