Mehr Akzeptanz für die Schmutzindustrie!

Sozialdemokraten werden wieder sozialdemokratischer

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 6 Min.
Zwei Sozis legen ein buchförmiges Plädoyer für eine »moderne Industriepolitik« vor. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin spottet darin gegen »Technikskepsis« und warnt vor »Deindustrialisierung«. Ist »Windmühle trifft Wirklichkeit« das Manifest der anti-grünen Wende, die nicht nur der »Spiegel« in der SPD ausmacht?
Industriepolitiker Duin posiert für die »Bild«-Zeitung
Industriepolitiker Duin posiert für die »Bild«-Zeitung

Der Raum, 168 Metern über den Dächern von Düsseldorf gelegen, ist nicht wirklich gerammelt voll mit Journalisten. Exakt drei Medienvertreter sind in den Rheinturm gekommen. Einer soll den Talk der beiden Buchautoren moderieren. Einer knipst für die »Bild«. Einer ist für das »nd« hier. Nicht gerade ein traumhafter Zustand für zwei Sozialdemokraten, die eine Mission zu erfüllen haben: Garrelt Duin und Sascha Vogt wollen Partei und Republik eine industriepolitische Offensive verpassen. Sie haben deshalb ein Buch geschrieben, das nun vorgestellt werden soll.

Duin ist Wirtschafts- und Energieminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Sprecher des Seeheimer Kreises, der Parteirechten also. Vogt gilt Linker – qua Amt. Schließlich ist er Bundvorsitzender der Jusos. Die Parteijugend ist, behauptet Vogt, »ein sozialistischer Richtungsverband«.

Der Rechte. Der Linke. Der Konsens: Industriepolitik muss mehr Bedeutung haben! Deswegen das Buch. »Windmühle trifft Wirklichkeit. Für eine moderne Industriepolitik«. Sie haben es nicht miteinander geschrieben, sondern gegeneinander. Eine spannende Kontroverse oder das, was man im parteieigenen »vorwärts buch«-Verlag dafür hält.

Standort. Wettbewerbsfähigkeit. Planungssicherheit!
Der »Linke« Vogt beklagt den »Raubbau an unserem Planeten«, fordert Wirtschaftsdemokratie und sozialen Fortschritt und einen starken Staat. All das also, was man als Juso einklagt, während alles seinen kapitalistischen Gang geht, auch dank der SPD.

Und Duin, der Mann in Verantwortung? Keine vier Seiten hat er geschrieben, da fallen auch schon die Worte »Bundesverband der Deutschen Industrie« – und der sozialdemokratische Politiker bezieht sich durchaus positiv auf die Lautsprecher des Kapitals: Es sei »ein Warnsignal«, wenn der BDI fordere, Deutschland müsse »wieder zu einem bevorzugten Investitionsstandort werden«. Viele Betriebe würden skeptisch in die Zunkunft blicken. Doch »das Land« brauche Investitionen, wofür die Unternehmen langfristige Planungssicherheit erwarteten; letztlich geht es für Duin dabei um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.

Vom Rheinturm aus hat man einen guten Blick auf das rheinische Braunkohlerevier. Vier Kraftwerksstandorte, riesige Wolken, massiver Klimaschaden. In Neurath wurde unlängst das – je nach Sicht – »modernste Braunkohlekraftwerk der Welt« eröffnet respektive ein weiterer Klimakiller eingeweiht. Mit dabei: Industrievertreter en masse, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (Duins Chefin) und manch anderer Sozialdemokrat.

Was zur Hölle ist das: Industriepolitik?
Was eine moderne Industriepolitik ausmache? Duin denkt einen Moment lang nach, bevor er die Moderatorenfrage beantwortet. Die (schmutzigen) alten Industrien dürften nicht gegen die neuen grünen ausgespielt werden, sinniert der Friese dann. Vielmehr müsse der Widerspruch überwunden werden – wie bei der titelgebenden Windmühle, die grüne und – bei der Produktion! – alte Industrie miteinander verbinde.

Bei der Gestaltung der Energiewende wolle er der Industrie Planungssicherheit geben – durch Verhandlungen wie beim rot-grünen Atomausstieg, sagt Duin. Befragt, wie man Industriepolitik »macht«, antwortet Duin ausweichend. Vielschichtig sei sie, die Industriepolitik, Standorte müssten erhalten werden, doch könne man einen Strukturwandel nicht über einen mittellangen Zeitraum von zehn Jahren planen, »das ist eine zu weite Sicht«. Nach einem wirklichen Konzept hört sich das nicht an.

Dann wechselt Duin flugs das Thema: Personalchefs würden sich über charakterliche Mängel ihrer potenziellen Azubis beschweren. Pflichterfüllung, Treue, Anstand, Pünktlich-, Höflich-, Sauberkeit stehen nicht mehr hoch im Kurs. »Darf man heute noch über Sekundärtugenden reden?«, fragt Duin. Die einen sagen so. Die anderen so. Ablenkungsmanöver gelungen!

Sozialdemokraten gegen »Öko-Esoterik«
Ist die SPD zu grün geworden? Muss diese Entwicklung korrigiert werden? Mancher glaubt es. Der zu Gerhard Schröders Regierungsjahren als »Kanzlerfreund« bezeichnete Meinungsforscher Manfred Güllner mutierte neulich zum Meinungsmacher: Die Grünen würden die Demokratie gefährden und zwar durch eine »grüne Diktatur«. Massenweise würden Wähler aus den unteren Schichten verprellt. So Güllner im »Spiegel«.

Überhaupt schießt das »Nachrichtenmagazin« aus allen Rohren für eine Sozialdemokratische Umkehr zu ihren schmutzindustriellen Wurzeln: Neuerdings sei dort wieder ein Faible für Rauchende Schlote zu erkenn: »Auf Kosten ihrer Umweltpolitiker erneuern die Sozialdemokraten ihre Liebe zur Schwerindustrie«. Im Kampf gegen »Öko-Esoterik« entstünden gar »sonderbare Allianzen zwischen Parteilinken und -rechten«.

Gleichen Orts rät der Journalist und Buchautor Alexander Neubacher (»Ökofimmel«) der SPD: »Genossen, schmeißt die Ökos raus!«. Die SPD versuche, noch grüner zu sein als die Grünen, umwerbe das »Karottenkuchenmilieu der Bio-Besserverdiener«. Aber, so Neubacher: »Wahlen können die Genossen jedoch nur gewinnen, wenn sie die Öko-Masche ablegen.«

NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft warnt sei langem vor einer »Deindustrialisierung« durch eine allzu ambitionierte Klimapolitik, plädiert für den Bau neuer Kohlekraftwerke (beides bevorzugt im »Spiegel«) und hat im SPD-Bundesvorstand die Federführung für die Energiepolitik übernommen.

Wer gegen Technik ist, kann auch nicht rechnen!
»Technik«, schreibt Krafts Minister Duin, »ist grundsätzlich nicht der Feind des Menschen, sondern der Motor seines Wohlstandes und Wohlergehens«. Grundsätzlich! In Neurath, in Gronau, Ahaus und Jülich (allesamt in NRW), in Gorleben, in Fukushima, in den Sweatshops, in denen all die bunten Stromfresser produziert werden, sehen sie das wohl ein bisschen anders. Vielleicht aus guten Gründen.

»Techniksskepsis, gar Technikfeindlichkeit«, zürnt hingegen Sozi Duin, »und ein Bekenntnis zur Mathematikschwäche gehört bei relativ vielen Menschen, gerade in Akademikerschichten, zum guten Ton.« Größere Projekte seien nur schwer durchsetzbar. Explizit nennt Duin gescheiterte Projekte der »grünen« Gentechnik und der Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung.

Enorme Risiken, fragwürdiger Nutzen? Wohl gemerkt: Duin ärgert sich über das Scheitern dieser Techniken, über Unternehmen, die aus Deutschland abwandern. Und darüber, dass in Deutschland zwar geforscht, aber nicht mehr produziert werde (»Können wir uns nicht leisten«). Selbst in der SPD – der SPD! – sei Industriepolitik überhaupt kein Thema mehr.

Retten, was zu retten ist!
Duin wil die Akzeptanz umstrittener Technik und Industriezweige stärken – denn auf »demokratisch legitimierte Entscheidungen muss Verlass sein«. Keineswegs dürfen »wir« zulassen, dass »Einzelinteressen« Planungen torpedieren können. So wie, möchte man ergänzen, in den 1970er-Jahren, als die regierende Sozialdemokratie dieses Land mit Dutzenden Atomkraftwerken zupflastern wollte und nur Millionen »Einzelinteressen«, die sich zu einer Bewegung formierten, das Allerschlimmste verhinderten.

Heute sind auch die Sozzen Atomkraftgegner. Und natürlich plädiert auch Duin für Energieeffizienz und Energiewende. Und behauptet, er sei nicht einer »blinden Technikgläubigkeit« verfallen. Er will, ganz im Jargon der Gewerkschaften, »gute Arbeit« (warum nur wird die immer öfter durch prekäre Beschäftigung oder den Absturz in Hartz IV ersetzt?). Er will eine starke Sozialpartnerschaft. Kurzum, er träumt vom alten Klassenkompromiss, von der Rückkehr ins fordistische Paradies – und ahnt wohl selbst: dieser historische Sonderfall, er kehrt nicht wieder.

Also retten, was zu retten ist? Duin warnt jedenfalls vor einer weiteren »Deindustrialisierung«. So wie Genossin Hannelore Kraft. So wie der Bundesverband der Deutschen Industrie. Warum Sozialdemokraten den BDI-Sound nachahmen? »Ich lese deren Papiere nicht«, sagt Duin auf Nachfrage. »Ich besuche Aluminium-Hersteller und höre mir deren Probleme an. Wegen der hohen Energiekosten überlegen die sich, ob sie mittelfristig außerhalb Deutschlands investieren. Das ist doch Deindustrialisierung!«

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