Kulturschock in Schwarzweiß
»Geschlossene Gesellschaft« zeigt künstlerische DDR-Fotografie von 1949-1989
Humor und Witz seien bei den Arbeiten auf den zweiten oder dritten Blick erkennbar, sagt Ulrich Domröse, einer der Kuratoren der Ausstellung »Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989« in der Berlinischen Galerie. Im Vergleich zu Geschriebenem, bei dem in der DDR zwischen den Zeilen zu lesen vermochte, wer es vermochte, könnte man das, was er meint, jetzt wohl »zwischen die Pixel sehen« nennen .
Lachen ist keine Kunst, lässt sich jedoch als Aussage der wie gesagt auf den ersten Blick nahezu alle ernst wirkenden Fotografien nicht festmachen. Ernst gemeint waren sie als kritische Widerspiegelung der damaligen gesellschaftlichen Situation und Alltagsbeschreibung allemal. Hinzu kommt die emotionale Situation von Künstlern, die sie durchaus durch ihre Arbeiten zu vermitteln versuchten.
Heute im öffentlichen Raum und durch Medien von immerfort strahlenden und vom Zahn bis zum Zeh makellos wirkenden Werbegestalten und digital bearbeiteten Abbildern von Schönen und Reichen umzingelt, kann man beim Eintritt ins Museum durchaus von einem Kulturschock in Schwarzweiß sprechen.
Man blickt in zumeist ungeschminkte Gesichter, die körperliche Erschöpfung verraten, auch welche, die von erschöpfter Geduld erzählen. Porträts schwer in der Produktion arbeitender Menschen sind ausgestellt. Auch in einer metallenen Rauminstallation mit Bildern über den damaligen Berliner Zentralviehhof. Zerteilte Tiere, von Blut bespritzte Menschen. Aufgenommen von einem Vegetarier, muss man einräumen und bedenken, dass gegenwärtig Schlachthöfe auch keine Wellness-Zentren sind. Aber wer im Berliner Osten lebte, könnte wissen, dass dort an den Fließbändern auch Leute arbeiten mussten, die sich aus politischen Gründen noch in den 80er Jahren dorthin versetzt wiederfanden.
Solche menschlichen und berührenden fotografischen Zeitdokumente gibt es hier und heute kaum. Wer will das jetzt haben in der Kunstszene? Wer würde das ausstellen? Das gilt ebenso für die morbid wirkenden urbanen oder dörflichen Landschaftsporträts, die in ihrer Tristheit künstlerisch betrachtet der Schönheit nicht entbehren. Ein einsamer Trabant im Nebel auf Rügen stand nicht allein für gesellschaftliche Stagnation. Die geradezu brutal ehrlichen neben den ästhetisch angenehm komponierten Akten sind das, was sie sind - nackte Kunst. Dagegen zeigt sich beispielsweise unter dem Titel »inter esse«, wie man mit scheinbar naiver Ablichtung für die Bildsprache nicht nur Momente einfangen, sondern auch Spott hervorrufen kann. Man sieht es - auf den zweiten Blick.
Dem Berliner Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur gelang mit der »Geschlossenen Gesellschaft« eine international beachtenswerte Schau von DDR-Weltniveau. Noch nie wurde in diesem Umfang Einblick in die Arbeit der damaligen östlichen Fotokünstler gegeben. Schwer war die Auswahl aus der Sammlung des Landesmuseums angesichts des großen Potenzials. Offeriert werden von Ursula Arnold bis Ulrich Wüst 250 Arbeiten von 34 Autoren aus der im Innern immer weniger, aber nach außen geschlossenen Gesellschaft - die von außen aus ebenso verschlossen war.
Drei Kapitel unterteilen nach einem Prolog die Fotografien und Künstler in »Realität - Engagement - Kritik«, »Montage - Experiment - Foto« und »Medium - Subjekt - Reflexion«. Über die Biografien der Künstler verschiedener Generationen kann man sich im zur Schau vom Museum herausgegebenen Katalog informieren. Vorab jedoch beschreiben Foto-Historiker in dem Buch politische und ökonomische Hintergründe des künstlerischen Schaffens.
Das Museum bietet ein Rahmenprogramm zur Ausstellung, zu dem Filme, Künstlergespräche und ein öffentliches Symposium mit Forschern vom 9. bis 11. November gehören.
Bis 28.1.2013, Mi.-Mo. 10-18 Uhr, Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124, Kreuzberg, Tel.: 78 90 26 00, Rahmenprogramm unter www.berlinischegalerie.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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