Ergebnis war gleich null
Ex-Verfassungsschützer vor NSU-Untersuchungsausschuss: Wir wussten nichts
Bayern ist ein traditionsreiches Land. Einer der Traditionsstränge geht zurück ins Jahr 1928, als sich ein Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages mit dem skandalös milden Urteil gegen Adolf Hitler beschäftigte. Der Hitler-Putsch 1923 in München hatte vier Polizisten das Leben gekostet. 84 Jahre später geht es beim bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss erneut um Mord und Naziterror und ganz traditionell geben sich die bayerischen Behörden auf dem rechten Auge eher blind.
Meint so sinngemäß jedenfalls der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD), der auch schon mal daran erinnerte, dass der Verfassungsschutz mit alten Nazis aus SS und Gestapo aufgebaut wurde. So was lässt den Kopf von Gerhard Forster, Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes von 1994 bis 2001, noch röter werden. Am Dienstag stand Forster als erster Zeuge vor dem Ausschuss des bayerischen Landtages, der die Vorgänge um die fünf Mordtaten der NSU in Bayern untersucht. Um es kurz zu machen: Der bayerische Verfassungsschutz wusste von gar nichts.
Mehrere Stunden dauerte die Vernehmung des Ex-Präsidenten im Sitzungssaal 2 des Landtages, flankiert von Beobachtern des Landesinnenministeriums, auf dass der Ex-Präsident nichts Vertraulich-Geheimes von sich gebe. Ein interessantes Detail kam dabei zu Tage, der die »Tradition« des Verfassungsschutzes ausleuchtet: Er war bis 1989 vor allem gegen Links gerichtet, 70 Prozent der Mitarbeiter beschäftigten sich mit dem linken Spektrum, darunter zum Beispiel die VVN. Erst nach dem Mauerfall verschoben sich die Gewichte hin zur Beobachtung der rechten Szene, 2001 habe das Verhältnis der Beobachtung von »Links« und »Rechts« 40 zu 60 gestanden. Die Zusammenarbeit mit der Polizei, so Forster, sei »vorbildlich«, viele Mitarbeiter des Verfassungsschutzes seien ja ehemalige Polizisten.
Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes sei die Beobachtung der Szene, dies geschehe vor allem über »Quellen«, also verdeckte Ermittler und angeworbene V-Männer. Deren dubiose Rolle wird - wie so oft - am Beispiel des neonazistischen »Fränkischen Heimatschutzes« deutlich. Der wurde in den 1990er Jahren als Ableger des »Thüringischen Heimatschutzes« von Tino Brandt aufgebaut, ein Spitzel des Verfassungsschutzes von Thüringen. Als Brandt eine Reihe von Neonazis nach Franken zog, wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass die Bayern die Szene in der »Operation Rennsteig« unterwanderten. »Das haben wir abgelehnt«, sagte Forster. Die Bayern wollte die Szene nicht unterwandern, sondern weghaben: »Brandt war ein Thüringer Problem.« Auf Drängen der Bayern zogen die Thüringer schließlich den Neonazi zurück, 1999 sei der »Fränkische Heimatschutz« nur mehr als Name für einen »Skinhead-Stammtisch« geblieben.
Zum NSU sagte Forster, man habe nach dessen Untertauchen den V-Leuten in der rechten Szene die Fahndungsfotos vorgelegt. Dabei habe es einen Hinweis auf einen Neonazi in Rheinland-Pfalz gekommen, der möglicherweise Unterschlupf bot. Doch Untertauchen sei in der Szene nicht ungewöhnlich.
Nach den ersten drei Morden in Bayern habe man im rechtsextremen Milieu die »Quellen« befragt, in Hinsicht auf Zustimmung und fremdenfeindliche Motive. »Das Ergebnis war gleich null«, so der Ex-Präsident. Und nein, der Verfassungsschutz habe in dieser Hinsicht keine Fehler gemacht, man habe ja nur die Quellen abfragen können. »Was hätten wir denn sonst tun sollen?« Bei der NSU habe es sich um eine kleine konspirative Zelle gehandelt und »wir hatten niemanden dran«.
Für Susanna Tausendfreund, die für die Grünen im Ausschuss sitzt, waren die Verfassungsschützer in Bayern in Sachen NSU »zu wenig sensibilisiert« und hätten mit zu wenig Nachdruck nachgeforscht. Man habe bei den Aussagen des Ex-Präsidenten den Eindruck gehabt, die Behörde hätte geglaubt »ihre« Rechtsextremisten in Bayern im Griff zu haben.
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