Der Kuchen der Vernichtung

Am Renaissance-Theater: »Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm« von Theresia Walser

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Soeben hat Produzent Nico Hofmann mitgeteilt, das Leben Hitlers zu verfilmen. Serienlang, natürlich, denn Aufklärung tut endlich not. Und in wenigen Wochen wird ein Film über den Wehrmachts-Offizier Rommel über den Bildschirm gehen - schon muss sich Hauptdarsteller Ulrich Tukur gegen den Vorwurf wehren, den Armeebefehlshaber »zu menschlich« angelegt zu haben. Die Nazis siegen und siegen. Den Weltkrieg verloren, den Feierabendfrieden gewonnen: Filme, Fernsehen sind erfolgreich besetzt, Millionen Zuschauer unentwegt im Dienst - als willige Vollstrecker des medialen Befehls zur fortwährenden Teilnahme an der Täter-Thronfeier. Aufschwung für den Untergang. Und: keine Alliierten des Widerstands in Sicht.

So sitzen sie nun auch vor einer Studiobretterwand, im Berliner Renaissance-Theater: Franz Prächtel und Peter Söst, zwei Schauspieler, die den Hitler spielten, und Ulli Lerch, er gab allerdings »nur« einen Goebbels. Talk vor der gleich beginnenden Talkshow. »Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm« will man genießen - und gerät in einen veritablen Streit um Wesen und Wurstigkeit des Schauspielerlebens.

Guntbert Warns hat das Stück von Theresia Walser inszeniert (Bühne: Momme Röhrbein), es entstanden achtzig expressive Minuten witzewallender Unterhaltung, das weniger den ernsten Tiefen der ästhetischen Verhitlerung auf den Grund geht, diesen unbesieglichen Reizen des Bösen, als vielmehr kaleidoskopisch die wunderbare, liebenswerte Räudigkeit des Schauspielerlebens ausbreitet: den Gaukler-Geist, den Gefiederputz, den Hackordnungssinn, die Schein-Heiligkeit.

Jörg Gudzuhns Prächtel schmiert sich ins selbstproduzierte Blattgold einer unfassbaren Eitelkeit hinein. Der Glanz der Selbstfeier entwickelt seine grelle Wirkung, indem so ein Typ am drängendsten, am lautesten von allen Anwesenden sämtliche Attribute der Bescheidenheit herauskehrt. Gudzuhn - betont beiläufig am Bühnenrand, als sei er nicht auch dort ein »Mipusch«, ein sogenannter Mittelpunkt-Schauspieler - wirft sich in die Pose des Kleistschen Homburg, und da fährt dem Muster-Meister-Mimen-Matador im schmetternd schmachtenden Vers schon mal die rechte Hand hitlernd nach oben.

Gudzuhn brandet gegen das moderne Regietheater, dass sein Widerpart Lerch ins Publikum flüchtet - als fände er Schutz ausgerechnet in einer Gemeinde, die tosend applaudiert, wenn Prächtel hysterisch die Werktreue und das Weihespiel herausheult. Ein Heiland der hohen Töne, ein rhetorisch eiferlohender Henker der Videoten, die das gegenwärtige Theater beschmutzen. Gudzuhn grummelt, giftet, giert nach Gunst, geifert nach stillem Wasser, geilt sich grandios hinein ins Schau- und Show-Spielen. Ein Mann, der Regisseure selber nicht braucht, Regisseure »sind nur da, damit die Kollegen ihre Rollen nicht überschätzen«.

Robert Gallinowski ist Uli Lerch. Nur Goebbels. Außenseiter quasi. Ein Nebenrollenschicksal. Mümmelnd sitzt er da. Zum Beiwerk gestempelt. Trotzdem mit gewisser Diener- oder Friedensstifterseele, denn warum sonst stellt er ausdauernd seinen Fuß unter den Beitisch: damit der nicht wackelt. Gallinowski hängt tief im Sessel, so wie sein bulliges, begriffsstutziges Gemüt tief im Unterkiefer kauert. In Göttingen spielt er einen von sieben Hamlets, ja ja, wird Prächtel erwidern, weil sie den »Hämmlätt« als einzelnen Großen nicht begreifen, müssen sie ihn in sieben Teile schneiden. Gallinowski spielt mählich aufkommendes Brodeln, sein Lerch scheint sich gegen die provozierenden Fragen zu wehren, die ihm in den schwerblütigen, langsam arbeitenden Sinn kommen - und doch kann er sich nicht gegen die Provokationsschübe wehren.

Er ist das Krokodil, das hundert Jahre wartet, um dann für eine einzige Zuschnappsekunde auch noch zum krallenden Löwen zu werden, der Prächtel in die Parade springt. Gern ballt sich eine schreckensirre Verletztheit in seinem Gesicht, die es noch urkomischer stumpf und stier macht (zumal ihn Prächtel für den Moderator hält, nicht für einen Bühnenkollegen). Und dann schnellt diesem Lerch ganz leise, ganz samtlistig der Gedanke aus dem Glatzkopf, etwa, als Prächtel ankündigt, bald den Albert Schweitzer zu spielen: »Man fragt sich nur, ob man einen Schweitzer noch sehen will von einem, der gerade einen Hitler gespielt hat.«

Guntbert Warns als Peter Söst gibt den Dritten im Unbund; seine Rolle ist die der Lunte, die zwischen Gudzuhn und Gallinowski zu legen ist; listiges Intrigieren, kleine rhetorische Tritte auf blankliegende Nerven, mit unbeteiligtem Gesicht schadenfrohes Schüren der Unverträglichkeiten. Dieser Peter Söst besteht darauf, den Hitler in keiner Szene menschlich angelegt zu haben, noch mit jedem Bissen Kuchen habe er die Vernichtung gespielt. Während Prächtel ein halbes Jahr Beobachtungen in einer psychiatrischen Anstalt betrieben hätte, um das Händezittern Hitlers lebensecht einzustudieren. Nur wenn seine Frau nachts unter ihm liege, melancholisiert Söst, da packe ihn Sorge, ob sie in solchen Momenten nicht nur immer denkt, Hitler ins Gesicht zu sehen. Positionswechsel, raten die Kollegen.

Eine Künstlerkomödie, eine Theatertollheit, ein kabarettistischer Beschimpfungsboulevard vergnüglichster Art. Es schallt und scheppert. Thomas Bernhards »Theatermacher« schimmert durch (bis in den Sprachrhythmus hinein), Simons »Sunny Boys«, überhaupt ist das Ganze ein geschickt gefädeltes Kompendium gespielter Schauspieler-Anekdoten. Groll-Gymnastik, Übertreibungs-Übung, Pointen-Parade. Fatzken-Dreikampf. Nichts verfeint, aber alles schön verfeindet. Ein Abend hauptsächlich für Schenkel - man muss des Öfteren draufschlagen.

Nächste Vorstellungen: 16. bis 20. Oktober, jeweils 20 Uhr

ROBERT GALLINOWSKI: Ihr ganzes Repräsentationstheater, Herr Prächtel, dieses Textaufsagen, dieses immergleiche Hamlet-Spielen, das hat die Welt auch vor keiner einzigen Barbarei gerettet.

JÖRG GUDZUHN: Man hat es sich eben nicht leicht gemacht, hat sich herumgequält, ob man den Hitler annehmen oder besser ablehnen sollte.
Aber was, wenn man den Hitler einmal abgelehnt habe, solle man denn danach noch spielen? Für einen Albert Schweitzer habe man ja immer noch genug Zeit, habe man gedacht.

GUNTBERT WARNS: Manche Menschen, die wissen ja gar nicht, was spielen heißt! Spielen, das bedeutet ja nicht Sein.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.