Keine Chance für das »Laugenpack«

Der Grüne Fritz Kuhn hat die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart gewonnen - die CDU leckt ihre Wunden

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wahl war eindeutig: 52,9 Prozent der Stuttgarter Wähler entschieden sich am Sonntag für den Grünen-Realo Fritz Kuhn als Oberbürgermeister. Damit hat die CDU im strukturkonservativen Schwabenland wieder eine Wahl verloren. Ihr parteiloser Kandidat Sebastian Turner kam auf 45,3 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte der Stuttgarter blieb der Wahl fern.

Schon gegen 19 Uhr am Sonntagabend war klar: Fritz Kuhn hat das Rennen gemacht. Sein Widersacher Sebastian Turner, der zwar parteilos ist, aber der Kandidat der CDU war (unterstützt von FDP und Freien Wählern), gestand seine Niederlage ein. Der zweite entscheidende Wahlgang hatte rund 100 Stuttgart-21-Gegner mobilisiert. Sie versammelten sich vor dem Ratskeller, in dem die Stuttgarter Christdemokraten traditionell ihre Wahlsiege feiern. Das konnten sie diesmal nicht. Die S21-Gegner kosteten das aus. »Lau-genpack« skandierten sie vor der verschlossenen Ratskeller-Tür. Früher, als die CDU noch im Land an der Macht war, hatten die Demonstranten gerne »Lügenpack« gerufen, das wurde nun abgewandelt, denn der Werbefachmann und Multimillionär Sebastian Turner war mit dem urschwäbischen Symbol der Laugenbrezel in den Wahlkampf gezogen.

Die CDU in Baden-Württemberg hat mit dieser Wahl zum dritten Mal in Folge verloren. Bei der Kommunalwahl 2009 wurden die Grünen mit 25 Prozent stärkste Fraktion im Stuttgarter Rathaus. Die Landtagswahl im vorigen Jahr sorgte nach fast 60 Jahren CDU-Herrschaft für den historischen Wechsel hin zu Grün-Rot. Das Stuttgarter Rathaus wurde seit 1974 mit Manfred Rommel und Wolfgang Schuster von zwei CDU-Männern geführt. Nun übernimmt Fritz Kuhn als erster Grüner eine Landeshauptstadt. »Ich freue mich so, dass die CDUler erleben, wie das ist, zu verlieren«, meinte eine strahlende SPD-Frau im Rathaus. »Das gönne ich denen.« Und Matthias von Hermann von der Stuttgart-21-Gegnergruppe Parkschützer sagte: »Hauptsache, dieser CDU-Filz wird aufgeweicht.«

Derweil wurde an CDU-Tischen als Erstes über Personalien diskutiert. Der Stuttgarter Kreischef Stefan Kaufmann, der Sebastian Turner durchgesetzt hatte, dürfte um seine Wiederwahl im November bangen. Den Konservativen wird langsam klar, dass ihre Herrschaft im Südwesten doch nicht gottgewollt ist. Warum das so ist, verstehen sie aber nicht. Landeschef Thomas Strobl versuchte eine Erklärung. Die CDU tue sich in Großstädten generell schwer, sagte er: »Das haben in diesem Jahr bereits Beispiele wie die Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt am Main gezeigt.«

Die Grünen machen sich also auf, die bürgerliche Mitte zu erobern. Stuttgart ist dafür prädestiniert. Einerseits eine offene Stadt, in welcher der Anteil von Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund 40 Prozent beträgt. Sie sind hier vergleichsweise gut integriert. Andererseits ist die Landeshauptstadt konservativ-wertebewusst. Einerseits ist Stuttgart durch Mercedes und Porsche eine Autostadt, andererseits ein Ort, in dem der Verkehr kollabiert und junge Leute zunehmend auf das eigene Auto verzichten. Und Stuttgart ist reich. Hier können sich viele nicht nur den Daimler leisten, sondern auch Öko-Gemüse und die Gebühren der Waldorfschulen.

Sebastian Turner aber setzte nur aufs Auto. Auf Plakaten warnte er vor grüner City-Maut und Tempo 30. Weder das eine noch das andere hatte Fritz Kuhn gefordert. Auch die Unterstützung durch die Bundeskanzlerin und CDU-Bundeschefin Angela Merkel, die in der vorigen Woche in Stuttgart für Turner warb, ging nach hinten los. Nicht jubelnde Massen empfingen die Kanzlerin, sondern pfeifende S21-Gegner.

Die Grünen feierten bis in den Montagmorgen in einer Stuttgarter Kneipe. »Die baden-württembergischen Grünen haben kein Problem damit, links zu sein, liberal im Sinne von bürgerrechtlich und konservativ«, erklärte Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir den Sieg seines Parteifreundes, der zu den Gründern der Grünen im Ländle gehört und zuletzt stellvertretender Chef der Bundestagsfraktion war.

Nach seinem Amtsantritt am 7. Januar will der 57-jährige Kuhn sich als Erstes um mehr Kita-Plätze bemühen und ein Konzept gegen den Feinstaub entwickeln. Zu Stuttgart 21 erklärte der Realpolitiker, er respektiere die Volksabstimmung zum Bahnhofsumbau. Allerdings werde die Stadt sich nicht an möglichen Mehrkosten beteiligen. Das ist ein spannender Punkt, hat die Bahn doch erklärt, der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro werde bereits jetzt überschritten. Mal sehen, was der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann und der künftige grüne Stuttgarter OB Kuhn daraus machen.

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