Riskante Zeitreise

Wagners »Parsifal« an der Deutschen Oper Berlin

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Intendanz von Dietmar Schwarz setzt großformatig an. An der Deutschen Oper Berlin gleich nach Lachenmanns »Mädchen mit den Schwefelhölzern« einen »Parsifal« folgen zu lassen, ist schon ambitioniert. Am Pult ist das natürlich Chefsache. Generalmusikdirektor Donald Runnicles ging recht zügig ans Bühnenweihfestspiel-Werk - wenn auch anfangs nicht immer exakt. Auch später bot das Orchester manchmal bewusst zuspitzende Schroffheiten, und der Dirigent bremste manches aus.

Doch die Sängercrew war handverlesen, so dass die Balance zwischen Bühne und Graben gewahrt blieb. Besonders Matti Salminen, finnische Bass-Legende, und Klaus Florian Vogt, Tenor-Strahlemann vom Dienst, standen beim Publikum in hoher Gunst. Salminen imponierte mit seinem Durchhaltevermögen in der Mordspartie des Gurnemanz. Vogt ist ohnehin ein Publikumsliebling, die Amfortas-Rufe seines Parsifals waren eine Klasse für sich. An Evelyn Herlitzius als Kundry schieden sich die Geister: Allzu flackernd und manchmal gellend ist ihre Höhe, doch vermochte sie das mit darstellerischer Intensität auszugleichen. An Thomas Johannes Mayers nobel leidendem Amfortas gab es nichts zu deuteln. Auch der als Bayreuther Klingsor geübte Thomas Jesatko passte in das stimmige Ensemble.

Regisseur Philipp Stölzl ist noch nicht so lange im Operngeschäft. Aber mit seinem cineastisch assoziierenden »Rienzi« eben hier, an der Deutschen Oper Berlin und mit einem opulent psychologisierenden »Fliegenden Holländer« in Basel, der 2013 an der Staatsoper im Schillertheater zu sehen sein wird, hat er zwei Wagner-Volltreffer gelandet. Man durfte daher auf den »Parsifal« gespannt sein.

Bereits zum Vorspiel tauchte ein lebendes Bild mit der Kreuzigung Jesu in einer Golgatha ähnlichen Bühnenfelsenlandschaft auf. Man konnte also darauf gefasst sein, dass Stölzl bei passender Gelegenheit den Interpretationshebel umlegen und für verblüffende Erkenntnis sorgen würde. Zunächst aber setzte er auf diese Oberammergauer Passionsspiel-Optik immer noch eins drauf. Mit eingeblendeten lebenden Bildern, sogenannten Tableaux vivants, die wie Rückblenden noch einmal zeigen, was man hört. Oper im Geschichtsdoku-Look, als bebilderte Nacherzählung - mit allen Kitsch-Risiken und Verdopplungs-Nebenwirkungen, die das hat.

In der Pappmaschee-Landschaft sieht man also als possierliches szenisches Historiengemälde, wie Speer und Kelch durch den sterbenden Jesus zu ihrer heiligen Aura kamen. Und das Lachen, das Kundry ihren Fluch verschaffte. Wie Kelch und Speer in die Obhut von Titurel gelangten. Wie der seine Krone, Amt und Speer an Amfortas weitergab und der sich die Wunderwaffe schließlich von Klingsor abnehmen ließ, als er in Kundrys Armen lag. Und natürlich auch, wie sich der ehrgeizige Klingsor selbst entmannte.

Parsifal hingegen stolpert hier in Anzug und Schlips, quasi als Zeitreisender von heute, in die Szene. Erst bestaunt er sie verständnislos, dann wird er in die historische Genese religiöser Rituale verwickelt. So nachvollziehbar sein Staunen über die archaischen Rituale ist, so problematisch bleibt sein Mittun. Dieser Parsifal wird absorbiert von der Macht der abgelagerten Rudimente des kruden Frauenbildes und der vom Göttlichen unemanzipierten Sicht auf den Menschen. Parsifal stellt nicht in Frage, er wird zum Mittäter. Er ersticht Klingsor am Ende des zweiten Aktes einfach von hinten. Er gefällt sich im dritten Aufzug gar in der Rolle des Täufers und angehimmelten Erlösers.

Man kann Stölzls ironiefreie Herangehensweise als Aufbegehren gegen eine assoziative Art von szenischer Deutung begreifen. Hier stattdessen: die Nahaufnahme einer Geschichte, die zu einem Gutteil davon lebt, dass man sie einfach glauben soll. Der Vorteil dieser Sicht besteht darin, dass überlieferte christliche Rituale und Symbole auf eine Weise mit ihren Ursprüngen kurzgeschlossen werden, die Angst machen - oder zumindest nach Distanz verlangen. Wenn sich die Erlösungssüchtigen selbst blutig peitschen, wenn Klingsor als Aztekenpriester einem lebenden Opfer das Herz herausschneidet, wenn Kundry einer Horde fanatischer, gerade von Parsifal Getaufter, in die Hände fällt und ihrerseits bei der Taufe mit dem Kopf unter Wasser gedrückt wird, dann staunt man plötzlich, wie nah das alles an den Bildern irrationaler Massenhysterien oder aufgeregter Ritualdebatten von heute ist.

Auf der Bühne wendet sich immerhin Kundry am Ende mit Grausen ab.
Nächste Vorstellung: 25.10.

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