Die Angst vorm Fremden wird wieder gesellschaftstauglich

Berliner Bezirksbürgermeister tritt in Sarrazins Fußstapfen: Neuköllner Initiativen und Vereine wehren sich gegen Verunglimpfung ihrer Arbeit

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bezeichnung »Problembezirk« hängt wie angenagelt am Berliner Stadtteil Neukölln. Die Vorurteile gegenüber den Menschen, die dort leben und arbeiten, hat Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) in einem Buch zusammengefasst. Die darin Angesprochenen wehren sich.

In der Donaustraße, ein paar Schritte entfernt vom U-Bahnhof Neukölln, liegt eine kleine Kneipe, in der es neben dem obligatorischen Bier auch Schmalzstullen mit Radieschen gibt und Butterbrote mit Schnittlauch. Das »Valentin Stüberl« und seine Schwesterkneipe, das »Liesl«, sind nur zwei von zahllosen Kneipen im Stadtteil Neukölln. Ein paar Straßenzüge weiter eröffnete vor einer Weile eine dieser gemütlichen, ein bisschen »unsanierten« Lesekneipen. Linke Buchverlage, die Zeitung »jungle world« und andere laden dorthin zum Zuhören, Tanzen und Trinken. Auf den Hauptstraßen reihen sich Obst- und Gemüseläden an Internetshops, Spätis und Bäckereien. Neukölln ist ein Bezirk wie Kreuzberg, wie Prenzlauer Berg, wie Mitte: Alltagshektik, ergänzt um das für den jeweiligen Kiez typische Straßenbild zwischen Hipsterschick, Touristenmassen und die von alldem unbeeindruckten Berliner und Berlinerinnen.

Es braucht diese Einleitung für einen Text, der sich der lokalpolitischen Beurteilung dieses Stadtteils widmet. Denn Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) gilt neuerdings als weiterer großer Experte in Sachen Integration und Multikulti. Dinge, die seiner Meinung nach gescheitert und den Problemen seines Bezirkes immanent sind. Er hat ein Buch geschrieben, in welchem er »seinen« Bezirk einmal von vorn bis hinten durch die Mangel dreht.

Zahlreiche Initiativen, Gruppen und Vereine, die mit genau den Menschen arbeiten, die der Bezirksbürgermeister per Pauschalurteil für kriminell oder gescheitert erklärt oder anders mit negativem Urteil bedenkt, kritisieren »ihren« Bezirksbürgermeister nun aufs Schärfste.

»Buschkowsky treibt einen Keil zwischen die Neuköllner und Neuköllnerinnen«, sagt Robert Strauch von medipack, einem Mediatorenteam. »Er soll die vorhandenen Probleme als soziale Probleme erkennen, nicht als ethnische«, fordert der junge Mann und bringt damit die wesentliche Kritik auf den Punkt. Rund zehn Initiativen und Gruppen luden zum Hintergrundgespräch nach Neukölln ein.

»Buschkowsky hat eine große Medienwirksamkeit. Jugendliche lesen das und fragen sich, wieso sie sich da noch einbringen sollen«, so Nicole Bromann, ebenfalls von medipack. »Wir können dieses Buch lesen und uns ärgern. Das ist kein Mensch, der viel Hintergrundwissen hat, das ist ein Mitläufer nach Sarrazin, der will Geld verdienen«, sagt Ghossan Hajjo von der arabischen Elternunion.

»Was beim Leser hängen bleiben wird, sind die Ansammlung von Negativbeispielen und die unzähligen pauschalen Diffamierungen: ›Wozu braucht meine Tochter die Schule? Sie soll eine gute Hausfrau und Mutter werden.‹« Eine laut Buschkowsky durchaus gängige Antwort auf die Frage eines Sozialarbeiters, so Barbara John, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. »Und warum sollten die ohnehin oft strapazierten Schulpädagogen und Sozialarbeiter sich noch mehr anstrengen, wenn angeblich Integration nach Buschkowsky von den meisten Familien verweigert wird?«

»Fakt ist: Neukölln ist ein Bezirk, der sich mit massiven Problemen konfrontiert sieht. Fakt ist: Ein Großteil der Nordneuköllner Bevölkerung ist von Armut bedroht oder betroffen«, konstatiert Deniz Eroglu von den Neuköllner Talenten. Er nennt beispielhaft einige weitere Punkte und macht deutlich, dass die Anwesenden sich der Probleme im Bezirk durchaus bewusst sind. In der Runde wird genickt: Gäbe es im Bezirk keine Probleme, gäbe es auch keinen Bedarf an ihrer Arbeit.

Doch Heinz Buschkowsky weist alle Verantwortung von sich. Er fordert beispielsweise, dass die Kinder früh in den Kindergarten kommen, »aber er als Bezirksbürgermeister tut nichts dafür, mehr Kitaplätze zur Verfügung zu stellen«, sagt Elfi Witten.

»Es wird wieder gesellschaftsfähig, Angst vor Fremden zu haben«, kommentiert Idil Efe (Neuköllner Talente) das Buch und seine Wirkung. »Wenn der Klaus aus der Kneipe um die Ecke dieses Buch geschrieben hätte, dann wäre das eine Einzelmeinung«, wie Asia Afaneh-Zureiki. Projektleiterin JUMA es umschreibt. Aber es sei eben der Bezirksbürgermeister, der bundesweit gehört und ernstgenommen werde. Und der dieses »Dickicht von Vorurteilen« wie eine Glocke über Neukölln legt.

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