Das Wahljahr und die antikapitalistische Bewegung

  • Christine Buchholz
  • Lesedauer: 8 Min.
2012 haben die Proteste gegen das Krisenregime der Bundesregierung wichtige Fortschritte gemacht. Die Blockade-Aktion des Frankfurter Bankenviertels »Blockupy« im Mai wie auch der Aktionstag unter dem Motto »Umfairteilen« im September waren wichtige Schritte, um Proteste gegen das Kürzungsdiktat anzustoßen und Solidarität mit den Bewegungen in Europa zu entwickeln.

In beiden Bündnissen, die diese Aktionen organisiert haben, gibt es ernsthafte Planungen für eine Fortsetzung der Proteste. Das ist sehr begrüßenswert. Doch die Planungen für neue Aktionstage laufen Gefahr, in Konkurrenz zueinander zu geraten und so ihre politische Schlagkraft zu schwächen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist: Ein gemeinsamer Aktionsaufruf für 2013 von Umfairteilen und Blockupy würde ein Zeichen der Stärke der außerparlamentarischen Bewegungen im Wahljahr setzen.

Die Stärke des Blockupy-Aufrufs bestand darin, dass er sich mit den europaweiten Kämpfen gegen die Spardiktate solidarisierte und an der verbreiteten Kapitalismuskritik anknüpfte. Umfairteilen ist weniger radikal, schließt aber mehr Menschen und insbesondere Gewerkschaften mit ein. Es ist ein breiteres Bündnis. Mit der Parole »Reichtum besteuern« hat Umfairteilen auf eine populäre Forderung zugespitzt und zugleich an eine gemeinsame Problemlage in Deutschland und Europa angeknüpft.

Was hindert die beiden Bündniskreise an einem gemeinsamen Vorgehen im Wahljahr 2013? Das Umfairteilen-Bündnis lässt sich bisher nicht auf die Solidarität mit dem europaweiten Widerstand ein, weil dies das Bündnis in einen Widerspruch zu SPD und Grünen bringen würde. Die Einladung an den griechischen Linken-Vorsitzenden Alexis Tsipras zur Umfairteilen-Kundgebung nach Hamburg hat den Konflikt verdeutlicht. Die Hamburger Grünen verließen aus Protest vorzeitig die Kundgebung. Die Landesvorsitzende Katharina Fegebank begründete dies so: »Im Bündnis geht es in erster Linie um eine gerechtere Steuer- und Verteilungspolitik mit konkreten Maßnahmen in Deutschland. Die Aussagen von Alexis Tsipras widersprechen unseren europapolitischen Überzeugungen.«

Davon dürfen wir uns nicht beirren lassen. Meiner Meinung nach war es absolut richtig, Umfairteilen in Hamburg in den Kontext des Sozialabbaus in Deutschland und der internationalen Solidarität zu stellen.

In Blockupy gibt es die Befürchtung, im Wahlkampf von Rot-Grün instrumentalisiert zu werden, wenn man mit Umfairteilen zusammengeht. Werner Rätz vom attac-Kokreis argumentiert, Umfairteilen sei ein Versuch, von links Druck auf SPD und Grünen auszuüben. Die vorherrschenden Positionen im Umfairteilen-Bündnis eigneten sich eher »für ein sozialdemokratisches Links-blinken-und-rechts-abbiegen als für realen politischen Druck.« So verzichtete das Umfairteilen-Bündnis bewusst auf die Forderung nach Streichung des Fiskalpakts bzw. Abschaffung der Schuldenbremse, um Grüne und SPD nicht zu verschrecken.

Trotz dieser Schwäche des Umfairteilen-Bündnisses: Es bleibt unsere Aufgabe, am Widerspruch zwischen den Wählern der SPD und ihrem Umfeld in den Gewerkschaften auf der einen und der SPD-Führung mit ihrem Agenda-20-Kanzlerkandidaten auf der anderen Seite anzuknüpfen und den bestehenden Riss zu vertiefen. Die Forderung nach fairer Umverteilung tut genau dies, denn sie ist auch eine indirekte Kritik an den rot-grünen Steuergeschenken für Reiche und Konzerne.

An diesem Widerspruch anknüpfen gelingt am besten im Rahmen einer gemeinsamen Mobilisierung. Selbst wenn eine Umfairteilen-Mobilisierung kurzfristig allen parlamentarischen Parteien im Bündnis - SPD, Grünen als auch LINKEN - vor der Wahl nutzen sollte: Langfristig setzt sie SPD und Grüne unter Druck, sollten sie an die Regierung kommen. Je stärker die soziale Mobilisierung vor der Wahl, desto eher lässt sich auch nach der Wahl gegen unsoziale Reformen einer möglichen rot-grünen Regierung oder einer großen Koalition mobilisieren.

Was ist radikal?

Christoph Kleine kritisierte Raul Zeliks Eintritt in die LINKE: »Wer das staatliche Gewaltmonopol offensiv in Frage stellen möchte und wer auf den revolutionären Bruch setzt, sollte sich besser einer linksradikalen Organisierung, wie zum Beispiel der Interventionistischen Linken, anschließen.« Christoph Kleine unterschätzt, dass das Widerstandspotenzial in Deutschland weit über die engen Grenzen der radikalen Linken hinaus reicht.

Erstens hat sich DIE LINKE an Aktionen des zivilen Ungehorsams in den letzten Jahren beteiligt. Zweitens hat sich in den letzten Jahren in mehreren Bereichen gezeigt, dass Bündnisse, die auf Breite und Entschlossenheit setzen, erfolgreich sein können. Die Stärke von Blockupy lag darin, dass - und darin ist sich das Bündnis einig - die Blockupy-Demonstranten sich nicht von der Polizeitaktik provozieren ließen. Die Frankfurter Rundschau schrieb: »Die Autonomen bleiben friedlich. Sie lassen sich nicht provozieren, nicht von der Polizei, nicht von einer Filiale der Commerzbank am Opernplatz und auch nicht von den Glastürmen der Deutschen Bank. Sie gehen einfach dran vorbei und skandieren: A-Anti-Antikapitalista!« Und weiter: »Von den Schreckensszenarien der Stadt ist keines eingetreten, die martialischen Auftritte der Polizei haben die Blockupier auf die subversivste Art erwidert, die möglich ist: mit einem Lächeln.«

Auch die Blockaden gegen die Nazis in Dresden waren nur erfolgreich, weil sie breit, über den Kreis der üblichen Verdächtigen getragen wurden. Das setzte einen Aktionskonsens voraus, bei dem jede und jeder mitmachen konnte: »Von uns wird keine Eskalation ausgehen.«

So wünschenswert der »revolutionäre Bruch« mit dem Kapitalismus ist: Er wird nicht kommen, ohne dass die Mehrheit der Beschäftigten ihre Interessen gegen Staat und Kapital offensiv verteidigt. Das steht derzeit in Deutschland nicht auf der Tagesordnung. Die Mobilisierungsformen der Bewegungen müssen sich der politischen Lage anpassen. Wenn das Ziel von Blockupy ist, ins gewerkschaftliche Lager auszugreifen, um eine Brücke der internationalen Solidarität zu bauen, ist der von Christoph Kleine vorgeschlagene Weg nicht zielführend – weder für die radikale Linke noch für die Bewegung als Ganze. Leider geht Christoph geht nicht auf die Frage ein, wie eine Mehrheit für einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus gewonnen werden soll. Das wäre aber wirklich radikal, und da kommt wieder DIE LINKE ins Spiel.

Soll die radikale Linke im Wahlkampf abseits stehen?

Ingo Stützle formuliert zutreffend: »In Deutschland wird der soziale Frieden nur aufgekündigt, wenn sich Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter von der SPD lösen.« Zu Recht kritisieren alle Debattenteilnehmer den Krisenkorporatismus in den deutschen Gewerkschaften. Die Hegemonie der SPD in den deutschen Gewerkschaften war der Hemmschuh für erfolgreiche Proteste gegen die Agenda 2010. Deshalb hat sich die WASG und später DIE LINKE gegründet.

Aber der Ablösungsprozess ist langwierig. Die Hoffnungen in die SPD schwinden nicht einfach so. Und die SPD versucht in der Opposition, wieder Boden gutzumachen.
Wahlen sind verbunden mit einer Zeit intensiver politischer Debatte und einem erhöhten politischen Interesse in der Bevölkerung. Für die Stimmung im Land und die Voraussetzung für Widerstand ist es nicht unerheblich, was für eine Stimmung sich in Wahlen ausdrückt. Es hat eine Bedeutung, wie viele Menschen von der Linken in dieser Periode erreicht und für politische Selbstaktivität gewonnen werden. Deshalb ist der Wahlkampf auch für radikale Linke wichtig.

Der LINKE-Wahlkampf wird ein Mitmachwahlkampf sein. Er ist auch für Nicht-Parteimitglieder offen. Jede und jeder ist eingeladen, sich zu beteiligen, eigene Ideen einzubringen und eigene Erfahrungen zu machen. Nicht jeder muss DIE LINKE in allen Punkten richtig finden und rote Bonbons verteilen. Doch die radikale Linke macht einen großen Fehler, wenn sie sich im Kampf zwischen der SPD und der LINKEn enthält. Die SPD stützt Merkels Krisendiktat. DIE LINKE wird Argumente für eine Millionärsteuer und gegen das europaweite Kürzungsdiktat verbreiten. In dieser Situation ist die radikale Linke gefragt, zu diskutieren, wie sie sich zur Wahl positioniert und welche Formen der Unterstützung sie für DIE LINKE entwickeln will.

Raul Zelik bringt als radikaler Linker den Gebrauchswert der Partei DIE LINKE auf den Punkt: »Es gibt in Deutschland Parteien, die Klasseninteressen vertreten und es wäre ganz schön, wenn auch die subalternen Klassen über eine solche Organisation verfügten.« Angesichts der »sehr bedrohlichen Situation in Europa« werde eine plurale LINKE gebraucht, die als »Ort gemeinsamer Praxis funktioniert, in der sich Erfahrungen neu zusammensetzen und gesellschaftlich etwas bewegen können.«

Fazit

In der Partei DIE LINKE und in der antikapitalistischen Bewegung sind wir uns einig, dass sich in Deutschland die Klassenkämpfe auf einem anderen Niveau als in Südeuropa befinden. Gemeinsam stehen wir vor der Herausforderung, in Deutschland eine Bewegung aufzubauen, die stark genug ist, die Angriffe der Herrschenden zurückzuschlagen und das Potenzial für eine antikapitalistische Perspektive zu entwickeln. Mit den Erfahrungen, die wir vor der Wahl in der Mobilisierung, in dem mühsamen Knüpfen und Erweitern von Bündnissen, aber auch in den zahlreichen Diskussionen im Wahlkampf sammeln, legen wir einen entscheidenden Grundstein für die Zukunft. Denn wir brauchen handlungsfähige, außerparlamentarische Bündnisse über den Wahltag hinaus – egal unter welcher Regierungskonstellation.

Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand und Bundestagsabgeordnete, versteht sich als Bewegungslinke in der LINKEN und hat sich für DIE LINKE an zahlreichen Bündnissen beteiligt. Von Dresden Nazifrei, über die Friedensbewegung bis G8 und Blockupy.

Zuletzt hat sich hier Ingo Stützle geäußert und gefordert: "Setzt nicht auf die Politik!". Werner Rätz von Attac plädierte füre mehr zivilen Ungehorsam bei den Aktionen. Und Anja Mayer sowie Jörg Schindler skizzierten Vorschläge für eine »neue Linke«. Die Diskussion über die Zukunft der Antikrisen-Proteste und über das Verhältnis zwischen Partei und Bewegung wird hier im Blog weitergeführt. Eine Übersicht über einige Beiträge auch in anderen Publikationen findet sich hier.
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.