Die Welt würde den Amtsinhaber wählen
Doch Obama geht es wie Romney letztlich um die Macht und den Führungsanspruch der USA
Für die liberale französische Tageszeitung »Le Monde« ist sicher: Außenpolitik wird bei der heutigen Wahlentscheidung in den USA keine Rolle spielen. Das sei schade für Präsident Barack Obama, der den Wahlkampf auf dem diplomatischen Feld gegen seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney klar gewonnen habe. Ginge es etwa nach den Wählern in Europa, der Amtsinhaber würde laut Umfragen im Weißen Haus verbleiben - obwohl er sich als »Schattenkrieger« im Anti-Terrorkampf in den Fußspuren seines einst von ihm so scharf kritisierten Vorgängers bewegt.
Das Gefangenenlager Guantanamo zum Beispiel gilt als Sinnbild dafür, wie George W. Bush den Rechtsstaat aushöhlte. Obama, der den unpopulären Militäreinsatz in Irak beendete, scheiterte mit seiner Ankündigung zur Schließung des Lagers und billigte schließlich sogar die Wiederaufnahme der Terrorverfahren. Der Friedensnobelpreisträger ließ Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in Pakistan exekutieren und weitete den Drohnenkrieg in den pakistanischen Stammesgebieten, in Jemen und Somalia massiv aus. Völkerrechtliche Grenzen kennt auch er im Fall der Fälle nicht.
In Afghanistan stellte Obama ebenfalls die Weichen für einen Abzug der Kampftruppen bis Ende 2014. Allerdings sollen sich Verbände in den folgenden zehn Jahren weiter am Anti-Terrorkampf am Hindukusch beteiligen und afghanische Truppen ausbilden. Während laut Umfragen eine Mehrheit in Afghanistan zu Obama tendiere, hofften die meisten Pakistaner auf weniger Drohnenangriffe und verbesserte bilaterale Beziehungen unter einem Präsidenten Romney.
Dürfte in Japan und China abgestimmt werden, hätte Obama dort deutlich die Nase vorn: 86 Prozent der Japaner und 63 Prozent der Chinesen würden dem Demokraten ihr Ja geben, so eine Studie des Hongkonger Ipsos-Instituts. Doch auch der Amtsinhaber sieht in China den geostrategischen Konkurrenten der Zukunft. Washington und Peking liegen vor allem in einer Reihe von Handelsfragen über Kreuz. Und Russland, der einstige Erzfeind? Aus Sicht Moskaus dominiert die geplante US-Raketenabwehr in Europa die trotz »Neustarts« oft angespannten bilateralen Beziehungen. Romney will mit mehr Härte dem »aggressiven und expansionistischen Verhalten« Russlands entgegentreten. Nach Einschätzung von Präsident Wladimir Putin könnte eine Wiederwahl Obamas die Dinge deutlich vereinfachen.
Romney wirft Obama auch Führungsschwäche im Umgang mit den Umwälzungen in der arabischen Welt vor. Im Atomstreit mit Iran prangert er an, dass der Präsident den Verbündeten Israel im Stich lasse. Er will die Präsenz der US-Flotte in der Region sowie die militärische Zusammenarbeit mit Tel Aviv verstärken. Obama betont zwar, dass »keine Option vom Tisch« sei, setzt vorerst aber vor allem auf die Wirkung von Sanktionen gegen Teheran. In der Region, zumal bei den Palästinensern, würde man seine Wiederwahl vorziehen, obwohl auch er weder die Lösung des Nahost-Konflikts vorangetrieben noch politische Initiativen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien zu bieten hat.
Besonders beliebt ist Obama in Deutschland: Die Demoskopen ermittelten eine Zustimmungsrate von 92 Prozent, 84 Prozent der Befragten meinen, er habe das Image der USA verbessert, 81 Prozent sind von seinem Sieg überzeugt. Was seine Beziehung zu Bundeskanzlerin Angela Merkel anbetrifft, stellte die »Washington Post« dieser Tage fest: »Beide sind pragmatische Politiker, denen weniger an großen Gesten als an Ergebnissen liegt.« Politisch jedoch haben die CDU-Vorsitzende und der Konservative Romney deutlich mehr gemeinsam.
Bemerkenswert an der dominierenden Zuneigung der Europäer für Obama sei ihre Einseitigkeit, schrieb die Wiener »Presse« kürzlich. »Der US-Präsident hat für Europa nämlich herzlich wenig übrig.« Zwar setzte Obama in seiner ersten Amtszeit stärker als Bush auf internationale Zusammenarbeit, in der Betonung des Führungsanspruchs der USA liegen er und sein Herausforderer aber auf einer Wellenlänge. Wobei Romney mehr Kriegsschiffe bauen und die Armee vergrößern will, während Obama auf Spezialeinheiten und das Drohnenprogramm baut und ein »schlankeres« Militär seine internationale Präsenz vor allem auf den pazifischen Raum konzentrieren soll.
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