Hysterienspiel
Dostojewskijs »Die Wirtin« an der Volksbühne
Alle Romane von Dostojewskij hat er bereits verarbeitet. Nun nimmt sich Regisseur Frank Castorf an der von ihm geleiteten Volksbühne eine Erzählung vor. »Die Wirtin« wird zur Comedy-Show.
In den vergangenen 20 Jahren hat Castorf an der Volksbühne oft erfolgreich Romane des russischen Schriftstellers Fjodor M. Dostojewskij (1821-1881) adaptiert. Vor einem Jahr beendete er die Serie mit seiner recht müde wirkenden Version von »Der Spieler«. Nun kündigte der Intendant an, sämtliche kurzen Erzählungen Dostojewskijs auf die Bühne zu bringen.
Den Auftakt machte Castorf mit der von der zeitgenössischen Kritik als »schauerlicher Blödsinn« verrissenen Mysterien-Mär »Die Wirtin« aus dem Jahr 1847. Seinem Stil entsprechend modelte er die krude Story von einer irren Dreiecksbeziehung voller Liebe und Hass im Schatten fundamentalistischer Religiosität zu einem krachledernen Hysterienspiel um.
Schon der Auftakt signalisiert, dass vor allem eine derbe Comedy-Show geboten wird: Trystan Pütter in der Rolle des Wassilij erobert die Szene mit einer waghalsigen Kletterei über eine Bretterwand. Am Ende geht er einfach um die Wand herum und signalisiert, dass all der Aufwand nicht sein muss, aber derlei Faxen einfach lustig sein können. Damit und mit dem sofort ansetzenden Schreien ist deutlich, dass Castorf wieder einmal vor allem auf wuchtigen Humor setzt.
Dem entspricht das Spiel von Kathrin Angerer und Marc Hosemann, als Katerina und Ilja, deren Gemeinschaft von Wassilij empfindlich aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Auch sie schreien nahezu unentwegt und präsentieren wilde Stimmbandartistik. Nuancen gibt es ebenso wenig bei den weiteren Mitwirkenden. Ausstatter Bert Neumann hat dafür ein anmutendes, nahezu in Schwarz-Weiß gehaltenes Bühnenbild geschaffen. In dessen Zentrum steht eine geteerte Baracke, die sowohl an die Tristesse am Rande St. Petersburgs als an die Kargheit des Wilden Westens denken lässt.
Es wundert nicht, dass manch durchaus gewichtiger Satz im Dauerbrüllen untergeht. Kern der Erzählung um unterdrückte sexuelle Gier und das Leiden an strengen religiösen Dogmen ist vielleicht Dostojewskijs oft zitierter Gedanke: »Wer die Orthodoxie nicht versteht, versteht die russische Seele nicht.« Castorf scheint der Gehalt dieser Worte aber kaum zu interessieren. Er setzt auf Oberflächenreize. Da passt es, dass schnell auch mal auf den Skandal um die russische Punk-Band Pussy Riot angespielt wird.
Die undurchsichtige Story von der schönen jungen Katerina, die beim alten despotischen Ilja lebt und von Wassilij begehrt wird, erhellen die Spiele mit allerlei Verweisen und Verrenkungen samt effektvoller Turnübungen allerdings nicht. So gab es denn zur Premiere aus dem Zuschauerraum auch den stärksten Lacher auf den Satz »Man kann kaum nachvollziehen, was zwischen uns vorgeht.«
Bemerkenswert ist der Abend, weil Castorf offensichtlich versucht, mit den Mitteln des Theaters eine starke filmische Wirkung zu erzielen. Dazu wird das turbulente Spiel nahezu durchgängig über eine riesige Videoprojektion beobachtet. In den Großaufnahmen zeigt sich, dass die Akteure im Stil von Stummfilmdarstellern agieren: Die Mimik ist überdeutlich, die kernige Körpersprache unentwegt darauf aus, das Innere der Figuren nach Außen zu kehren.
Es ist sicher kein Zufall, dass die Aufführung mit einem klassischen Filmschluss endet: Eine der Hauptfiguren, Wassilij, steht allein auf der Bühne und blickt ins Publikum. Er ist gefangen in einem grellen Lichtkreis. Der wird enger und enger. Dann wird der Scheinwerfer ausgeschaltet, und völlige Dunkelheit herrscht. In den alten Filmen kommt an dieser Stelle das Wort »Ende«.
9., 25.11., 15., 21, 25.12., diverse Anfangszeiten, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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