Helle Haufen und weiße Flecke
Volker Braun las im Verlag Rohnstock-Biografien und debattierte mit Wirtschaftslenkern der DDR
Geschichte, so lehrt uns die Erfahrung, ist weit mehr als das Postulat offizieller Geschichtsschreibung. Geschichte ist immer auch die Summe von Einzelbiografien. Seit 14 Jahren füllt Katrin Rohnstock diese Prämisse mit Leben aus. Sie bietet mit ihrem Verlag »Rohnstock Biografien« die Möglichkeit an, die eigene Biografie von ausgebildeten Autobiografikern aufschreiben zu lassen.
Die Wirtschaftselite der DDR jedoch hat davon bisher wenig Gebrauch gemacht. Sie hüllt sich in Schweigen. So treibt Katrin Rohnstock eine Vision. Sie möchte dieses geballte Wissen von Kombinatsdirektoren und anderen Führungskräften der DDR-Wirtschaft zusammentragen und vor dem Vergessen bewahren. Sie möchte die weißen Flecke der Wirtschaftsgeschichte der DDR tilgen.
Am Donnerstag fand in den Räumen von Rohnstock Biografien eine exklusive Lesung und Diskussion mit Volker Braun und Führungskräften aus der DDR-Wirtschat statt. Braun las aus seiner aktuellen Erzählung »Die hellen Haufen«, in der er die Abwicklung des DDR-Kalibergbaus und des Mansfeld-Kombinats durch die Treuhandanstalt ins Reich der Fiktion holt und sich vorstellt, was gewesen wäre, wenn sich die Belegschaften dieser Kombinate geschlossen gegen »die größte Umverteilung von Eigentum seit dem 30-jährigen Krieg« (Braun) gestellt und den offenen Widerstand, den Aufstand gewagt hätten. Aber: »Der Aufstand, von dem hier berichtet wird, hat nicht stattgefunden« - so beginnt Brauns Erzählung, so begann er seine Lesung.
Der Konsens zwischen dem Intellektuellen Braun und der Wirtschaftselite der DDR schien hergestellt - bis zur Verlesung der »Mansfelder Artikel von den gleichen Rechten aller«, dem Kulminationspunkt seiner Erzählung: die Utopie gebrauchswertorientierter Produktionsverhältnisse. Insbesondere Punkt zwei: »Die Belegschaft bestimmt, was und wofür produziert wird, nämlich was sinnvoll ist«, sorgte für belebenden Dissens innerhalb der Diskussion. Die Braunsche Urformel: Sozialismus = Volkseigentum + Demokratie scheint bis heute ein rotes Tuch für die ehemaligen Generaldirektoren zu sein.
Die Crux an der Kategorie Volkseigentum, so waren sich alle einig, besteht in ihrer praktischen Umsetzung. Wie hätte es gelingen können, dass sich die Belegschaft eines Kombinats tatsächlich als Eigentümer fühlt? Wäre die Ausgabe von Anteilsscheinen, wie er kurzzeitig zu Wendezeiten im Gespräch war, ein Ansatz? Hätte sich dann die Masse der Menschen nach der Wende schützend vor ihr Eigentum gestellt und den Aufstand angezettelt, den Volker Braun nachträglich heraufbeschworen hat?
An der Grundfrage des Eigentums, das hat die Diskussion gezeigt, wird man in Zukunft nicht vorbeikommen, wenn es um eine gerechtere Wirtschaftsordnung gehen soll. Dazu aber bedarf es des geballten Erfahrungsschatzes der ehemaligen Wirtschaftselite der DDR - auch und vor allem, um Fehler nicht zu wiederholen. Denn, so Volker Braun: »die Geschichte schreibt auch Quittungen aus. Wir haben die Niederlage voraus, die auch eine Erfahrung ist.«
Die Fortsetzung dieser Diskussion mit Kombinatsdirektoren der DDR ist geplant, der »Wirtschaftskrimi Planwirtschaft« im Entstehen. Mögen sich viele ehemalige DDR-Wirtschaftskader daran beteiligen.
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