»Pech gab's auch«
NSU-Skandal: Geheimdienstchef Maaßen übt zaghaft Kritik an Behörden
Hans-Georg Maaßen ist seit gut drei Monaten der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und hat es nicht leicht. Sein alter Job im Bundesinnenministerium war »gemütlicher«. Nun muss er allmorgendlich um 6.20 Uhr zur Behördenzentrale pendeln und abends, so nicht eine Veranstaltung ihn aufhält, zurück. Dennoch war er natürlich froh, am Montagabend bei den Grünen im Bundestag zu sein, auch wenn die so manche Reform in Sachen Geheimdienste auf den Weg bringen wollen, die ihm so gar nicht schmeckt. Einen völligen Neustart der Behörden etwa, mit neuem Personal, weil der Verfassungsschutz keinerlei Vertrauen mehr im Volke genieße. Zudem wollen sie weiter strickt auf das Trennungsverbot zwischen Polizei und Geheimdiensten achten und haben so gar nichts übrig für das neue Extremismusabwehrzentrum, das Maaßens Chef, der Bundesinnenminister, derzeit zusammenzimmert. Die Grünen wollen neue Regeln und mehr Kontrolle für die Agenten und die V-Leute an die Kandare nehmen.
Nun mal langsam, dachte sich da Chefagent Maaßen und tat seinerseits Ansichten kund, die verraten, dass sich eigentlich nichts ändern soll. Abgesehen von ein paar neuen Vollmachten, die man sich vom Parlament bestätigen lassen will. Ja, das mit der Aktenvernichtung war »Dummheit«, jemand habe da »töricht« gehandelt. Doch weder Polizisten noch Geheimdienstler seien »Heilande«. Fehler könnten »naturgemäß vorkommen«. Vielleicht habe man die Sicherheitsbehörden »auch überschätzt«. Maaßen gab zu, es gab »strukturelles Versagen, Fehler einzelner Personen und persönliche Unzulänglichkeiten«. Und dann dürfe man nicht vergessen: »Pech gab's auch ...!«
Ungeachtet dessen brauche man den Inlandsgeheimdienst. Da wären die islamistischen Terroristen - rund 100 seien in der letzten Zeit ausgereist zur Ausbildung - und die kommen wieder. Das Problem Rechtsextremismus habe sich mit dem NSU nicht erledigt, die Spionage gegen die Bundesrepublik gehe weiter. Neustart? Woher sollen die qualifizierten Leute kommen, und was machen wir mit den alten? Nein, eine Modernisierung sei notwendig, das Bundesamt müsse mehr Kompetenzen und vor allem alle Informationen bekommen. Maaßen ist Feuer und Flamme für das neue gemeinsame Extremismusabwehrzentrum, denn das gegen islamistischen Terrorismus und gegen rechte Gewalt seien ja »Erfolgsmodelle«, die weitere nach sich ziehen sollen.
Worum will man sich kümmern? Um Ausländerextremismus à la PKK, um Linksextremismus, um Proliferation und Spionage. Hochherzig schloss der Geheimdienstchef mit der Versicherung, er habe »keinerlei Einwände, dass das Parlament seine Rechte wahrnimmt«.
Die Grünen blieben erstaunlich gelassen ob solcher Großzügigkeiten. Nicht so Till Müller-Heidelberg, der gibt seit fast zwei Jahrzehnten bereits den Grundrechtereport, eine Art alternativen Verfassungsschutzbericht heraus und glaubt nicht mehr an Reformlösungen. Er fasst das, was auch die LINKE und andere sagen, in einem Wort zusammen: Auflösen! Denn der Verfassungsschutz, der seit seiner Gründung eine Spur von Skandalen hinterlässt, maße sich Aufgaben an, die entweder keine sind oder die die Polizei lösen muss. Nichts hat er übrig für den Kampf gegen Extremismus, denn das sei nur ein Begriff, der wandelnden Definitionen unterliege. Extrem sei, wer von der Norm abweiche. Das sei noch kein Angriff auf das Grundgesetz, denn das lasse Meinungsvielfalt ausdrücklich zu. Und wenn Extremisten stärker werden wollten, dann müssten sie in die Öffentlichkeit. Um die im Blick zu haben, brauche es keinen Geheimdienst. Und wenn Leute mit extremen Gedanken gewalttätig werden, dann vergehen sie sich gegen das Gesetz und sind folglich von Polizei und Staatsanwaltschaften zu »betreuen«.
Ein Fazit der Debatte lautet sicher: Die politische Diskussion über die Zukunft der Geheimdienste kommt spät, nun ist sie im Gange und nicht zurückzuholen, und auch diverse Untersuchungsausschüsse tragen das Ihre bei. Die »Maaßens« sehen es gelassen. Sie ziehen ziehen ihr Ding durch.
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