Von Hartz-Korrektur bis Asylpolitik

Die Beschlüsse der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Hannover

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Berlin (nd). Am Ende des zweiten Tages wurde es auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen noch einmal leidenschaftlich. Kurz vor Samstagmitternacht lieferten sich die Vertreter der Partei in Hannover eine kontroverse Diskussion über die religiös motivierte Beschneidung von Jungen. Zu dem Thema hatten mehrere Anträge vorgelegen, auf eine Entscheidung wurde nach Intervention der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden allerdings verzichtet. Nicht so bei vielen anderen Themen - eine Übersicht über die bisherigen Hannoveraner Beschlüsse der Grünen und Hinweise auf nd-Hintergründe zu den jeweiligen Themen.

Hartz, Mindestlohn, Rente

Unter der Überschrift „Eine Gesellschaft für Alle: Umfassende Teilhabe und
Selbstbestimmung durch gute Institutionen und gerechte Verteilung" hat die Bundesdelegiertenkonferenz ein umfangreiches sozialpolitisches Papier verabschiedet. Kernpunkte darin sind die Forderung nach Anhebung des Hartz-Regelsatzes auf 420 Euro und einem vorläufigen Stopp der Sanktionen für Erwerbslose. Diese sollen jedoch wieder möglich sein, wenn die Betroffenen mehr Rechte bei Jobcentern und Arbeitsagenturen haben. Ein Antrag auf vollständige Abschaffung der Sanktionen fand keine Mehrheit. Zum Sozialkatalog der Grünen gehören zudem ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro, eine Kindergrundsicherung, die mittelfristige Abschaffung von Minijobs, die mindestens gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und eine Erschwerung der Befristung von Arbeitsverträgen. Mit drei Milliarden Euro sollen Einkommensschwache bei Gebäudesanierung und Energiesparen gefördert werden. Die Grünen sprechen sich zudem für eine „armutsfeste Garantierente" aus, die oberhalb der Grundsicher liegen und jedem zustehen soll, der insgesamt mehr als 30 Jahre gearbeitet bzw. Kinder betreut hat. Zur Rente mit 67 bekennen sich die Grünen, wollen aber - wie die SPD - bessere Arbeitschancen für Ältere und das Absinken des Rentenniveaus verhindern. Zur Finanzierung von Forderungen wollen die Grünen den Spitzensteuersatz von 42 Prozent auf 49 Prozent anheben und eine Abgabe von 1,5 Prozent auf das Vermögen von Reichen einführen, dies soll über zehn Jahre 100 Milliarden Euro bringen. Auch Gutverdiener, Selbstständige und Beamte sollen in eine Krankenversicherung als Bürgerversicherung einbezogen werden.

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100 Prozent Erneuerbare

In einem Beschluss zur Energiepolitik setzen sich die Grünen das Ziel, „dass bereits im Jahr 2030 Stromerzeugung und Stromverbrauch in Deutschland 100 Prozent regenerativ sind. Dazu müsse es einen „schnellen Zubau von Solarenergie und Windkraft" geben, bis 2030 wollen die Grünen schrittweise aus der Kohle aussteigen, was bedeutet, dass „keine Neubauprojekte von Kohlekraftwerken" mehr erfolgen, in Bau oder Planung befindliche Projekte sowie alle Subventionen für die klimaschädliche Braunkohle gestoppt werden. Die Grünen machen sich außerdem für „die Einführung einer Input-Steuer auf Kohle" stark. Ein neues Klimaschutzgesetz soll den „neuen Rahmen für die Energiewende" bilden und Klimaschutz zu einem „Leitprinzip der Politik" erheben.

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Endlagersuche und Gorleben

Die Grünen haben in Sachen Atommüll-Endlager eine Entscheidung getroffen, die sogleich Greenpeace irritierte: „Mit dem Beschluss fallen die Grünen umweltpolitisch deutlich hinter die niedersächsische SPD zurück“, wird der Atomexperte der Organisation, Tobias Münchmeyer, zitiert. Dem Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz zufolge, bleibt Gorleben bei der Endlagersuche eine Option, aber die Suchkriterien sollen so gestaltet werden, dass Gorleben im Vergleich mit anderen Optionen rasch rausfallen kann. Möglicherweise, berichtet eine Nachrichtenagentur, entscheidet ein Sonderparteitag über das Endlagersuchgesetz.

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Arbeitsrecht in Kirchenbetrieben

Die Grünen wollen das Betriebsverfassungsgesetz dahingehend ändern, „dass die Anerkennung als Tendenzbetrieb gemäß §118 BetrVG nur für Betriebe in kirchlicher Trägerschaft gilt, die mehrheitlich vom jeweiligen Träger finanziert werden". Dabei geht es unter anderem um das Streikrecht für Kirchenmitarbeiter. Im Rechtsstreit zwischen Gewerkschaften und mehreren evangelischen Landeskirchen sowie deren diakonischen Einrichtungen urteilt am 20. November das höchste deutsche Arbeitsgericht darüber, ob für die rund 1,3 Millionen Beschäftigten in den christlichen Kirchen und deren Einrichtungen weiterhin ein Streikverbot gilt.

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Völkerrecht und Außenpolitik

Unter der Überschrift „Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte –
Responsibility to Protect - Vom Recht des Stärkeren zum Schutz des Individuums durch Stärkung des Rechts" hat die Bundesdelegiertenkonferenz die Positionen der Grünen für eine „wertebasierte Außen- und Sicherheitspolitik" verabschiedet, „die ganzheitlich auch Fragen der Entwicklungs-, der Handels-, Geschlechter-, Klima- und Flüchtlingspolitik in den Blick nimmt und Grundsätze für unser außenpolitisches Handeln beschreibt". Blockaden des UN-Sicherheitsrats bei so genannten friedenserzwingenden Maßnahmen sollen durchbrochen werden, indem in solchen Fällen nach dem Willen der Grünen die Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeschaltet wird - die dann das Recht beanspruchen könnte, mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner Stelle die friedenserzwingenden Maßnahmen zu beschließen.

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Keine Drohnen für die Bundeswehr

In einem weiteren Beschluss fordert die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen „die Bundestagsfraktion auf, die aktuellen Pläne der Bundesregierung zur Anschaffung von bewaffneten sowie waffenfähigen Drohnen abzulehnen. Angesichts der vielfältigen Probleme, die diese aufwerfen, bedarf es zunächst einer grundlegenden gesellschaftlichen und friedenspolitischen Debatte über den Einsatz dieser Waffensysteme." Im entsprechenden Antrag der BAG Frieden und Internationale Politik heißt es, die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium strebten an, „bewaffnete bzw. waffenfähige Drohnen-Systeme wie ,Reaper' oder ,Heron TP' als Nachfolger der unbewaffneten Aufklärungsdrohne ,Heron-1'" zu beschaffen. Im Bundesetat sollen dazu 168 Millionen Euro vorgesehen werden. Eine Studie der Stanford und der New York University habe jedoch gezeigt, „dass seit 2004 mehr als 3300 Tote durch US-Drohnen in Pakistan zu beklagen sind, die meisten davon ZivilistInnen".

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Solidarität mit Roma

In einem Dringlichkeitsantrag haben die Grünen die rassistische Diskriminierung von Sinti und Roma in Deutschland kritisiert. Vor allem Politiker aus CDU und CSU würden eine „unsägliche Stimmungsmache gegen Asylbewerber aus der Balkanregion" betreiben. Der von der Bundesdelegiertenkonferenz verabschiedete Beschluss wendet sich unter anderem gegen falsche Behauptungen über Asylzahlen und die Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, eine Visumpflicht für Serbien und Mazedonien wieder einzuführen. Die Bundesregierung solle „gemeinsam mit den anderen Mitgliedsstaaten endlich einen Integrationsplan für Roma und Sinti auf den Weg" bringen, „der den schwierigen Bedingungen in den Heimatländern Rechnung trägt. Zudem fordern wir die politischen EntscheidungsträgerInnen auf, Schluss zu machen mit der gezielten Diskriminierung von Roma in der deutschen Asylgesetzgebung."

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Offene Grenzen und Asylpolitik

In einem in Hannover beschlossenen Antrag setzen sich die Grünen für „die sofortige Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes" und die „sofortige Aufhebung der Residenzpflicht" ein. Sammelunterkünfte seien zugunsten einer dezentralen Unterbringung abzuschaffen. Asylbewerbern sollen ihr „Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben" auch wirklich beanspruchen können, was mit der Forderung nach einem Zugang zu Arbeit, zu Bildung und Bildungsabschlüssen sowie zu Kommunikationsmedien und ÖPNV verbunden wird. „Sie Essenspakete und Gutscheine sind überall in Bargeld umzuwandeln". Außerdem fordern die Grünen „unabhängige Beratungsstellen", die über das Asyl-Verfahren informieren. In alle Länder, „in denen Menschenrechte verletzt werden", soll per Abschiebestopp keine Ausweisung mehr möglich sein. In einer künftigen Regierung wollen die Grünen auch „die 1993 im Zuge der Grundgesetzänderung eingeführte Drittstaatenregelung rückgängig".

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Folter ahnden

Die Grünen wollen künftig Folter stärker ahnden und fordern dazu in einem Beschluss, Folter als eigenen Tatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter soll mit ausreichend personellen und finanziellen Mitteln ausgestattet werden, von der Bundesregierung fordere man, sich international für eine vollumfängliche Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention und aller Zusatzprotokolle einzusetzen. Um Verfehlungen besser melden und nachgehen zu können, soll eine strikte Kennzeichnungspflicht für alle Polizeibeamten eingeführt werden. Schließlich forderten die knapp 800 Delegierten, dass möglicherweise unter Folter erlangte Beweismittel und Geständnisse in Gerichtsverfahren nicht verwendet werden dürfen.

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Vegetarier und Veganer

Die Grünen setzen sich für die „Einführung einer Kennzeichnungspflicht bei Verwendung von tierischen Bestandteilen und tierischen Produkten in Lebensmitteln" ein. Die Bundesdelegiertenkonferenz stimmte für einen Beschluss, der eine verpflichtende dreistufige Kennzeichnung aller Lebensmittel fordert, die aus mehr als einer Zutat bestehen. „Die Kennzeichnung könnte lauten:
1. Lebensmittel enthält tierische Bestandteile oder wurde mit solchen hergestellt
2. Ohne Zutaten hergestellt, die von einem toten Tier stammen (vegetarisch)
3. Ohne jegliche tierische Bestandteile hergestellt (vegan)
Eine sinnvolle Umsetzung durch entsprechende Symbole ist anzuraten."

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Emissionen bei Fernreisen


Die Grünen verlangen, bei allen Fernverkehrsmitteln (Flug, Bus, Zug) innerhalb Europas „die zu erwartende CO2-Emission anzugeben", bei Fernreisen bis 800 Kilometern sollen die Belastungen für andere Verkehrsmittel als Vergleichszahlen angegeben werden.

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