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Karneval und Terror

Gefängnistheater aufBruch kämpft in der Justizvollzugsanstalt mit »Dämonen«

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Lebadkin platzt fast vor Hass auf seine behinderte Schwester. Er schreit und spuckt, hält mit hochrotem Kopf einen langen Monolog, in dem sich seine ganze Wut auf die »verkrüppelte Schlampe« entlädt, die nichts kann, außer ihn zu nerven und Chaos zu verbreiten. »Eines Tages mach’ ich sie platt«, droht er und stampft zur Veranschaulichung einen Karton zu Brei, während seine Kameraden jubeln und klatschen.

Adrian Schäfer spielt diesen Wüterich mit Verve und Talent. Er ist einer der neun Charaktere aus dem Stück »Dämonen«, das die Regisseure Moras und Minkowski zusammen mit dem aufBruch-Gefängnistheater in der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg inszeniert haben. So hasserfüllt und primitiv er auf der Bühne wirkt, so ruhig und zurückhaltend ist er in Wirklichkeit - ein gebildeter Mann, der als Redakteur bei der Gefängniszeitung »Burgnews« arbeitet und als einziger aus dem Knastensemble die Vorlage, Dostojewskis 700-Seiten-Werk »Die Dämonen«, schon vor Jahren gelesen hat. Hier den groben Schwesternhasser zu spielen, samt böser Nachahmung und »Hau ich ihr eine rein«-Brüllerei, »fiel schwer und hat langer Einarbeitung bedurft«, erzählt Schäfer nach der Generalprobe. Doch weiß er auch, dass er mit seinem Hassmonolog die beliebteste Szene gibt.

Warum Schäfer in der JVA Charlottenburg einsitzt, erzählt er nicht. Auch die Regisseure, Krzysztof Minkowksi und Dirk Moras, fragen nicht nach, was einer getan hat. Ihnen geht es darum, die Gefangenen stark zu machen, Abgründe auszuloten und sie mit Neuem zu konfrontieren. Seit die beiden 2008 ihre Version der »Ilias« in der Frauen-JVA Pankow umgesetzt haben, ließ die Arbeit mit Gefangenen sie nicht mehr los. Letztes Jahr inszenierten sie in Kooperation mit aufBruch Kafkas »Prozess«, diesmal nun wählten sie Auszüge aus Dostojewskis »Dämonen« und Texte von Camus als Vorlage.

Wobei sehr frei mit dem Roman des großen Russen umgegangen wird: Herausgelöst wurden als Handlungsstrang die Ereignisse in einer nihilistisch-anarchistischen Gruppe, in der zwar alle für einen Umsturz des geltenden Systems sind, jedoch völlig verschiedene Vorstellungen von dem haben, was danach kommen soll. Statt über die gesellschaftlichen Zustände zu diskutieren, verlieren sich die Mitglieder der Gruppe mehr und mehr in Selbstmitleid, Egoismus und Misstrauen - bis sie sich schließlich, angestiftet vom Wortführer, gegenseitig dezimieren.

Im Stück selbst werden immer wieder Filmszenen eingeblendet, die während des Probenprozesses aufgenommen wurden. Mit einer filmischen Partyszene beginnt die Inszenierung, dann brechen die Protagonisten wie ein derangierter Karnevalsumzug in den Raum ein: trötend, trinkend und grölend. Ruhig bleibt nur Pjotr, ein stämmiger Mann mit Schnurrbart und dichter Oberleibbehaarung, der wie ein Feldherr hinter seinem Tisch sitzt, neben sich eine Munitionskiste.

Der Rest der Raums ist voller Müll, alter Kartons, Fetzen von Gasmasken. Nach und nach hat jeder der Revolutionäre seinen Auftritt, der eine »will ficken, was da ist«, der andere will eine despotische Gesellschaft, in der 90 Prozent der Menschen als Sklaven für die herrschenden zehn Prozent dienen. Als einer davon schwafelt, eine Nagelbombe zu zünden, dann aber mit »Ich will kuscheln« endet, reißt dem Wortführer der Geduldsfaden: »Mit Euch wird das nichts, Ihr seid alle viel zu weich!« Er überredet die anderen, den ruhigen Kirillow, der ohnehin sterben wolle, umzubringen. Andere werden folgen.

»Wir suchen immer nach Stoffen, die etwas mit den Gefangenen zu tun haben«, begründen die beiden Regisseure ihre Wahl. In »Dämonen« fanden sie einiges davon: moralische Grenzüberschreitung, Sehnsucht nach Anarchie, das Dasein außerhalb der Gesellschaft und nicht zuletzt der fragwürdige Umgang der Terroristen untereinander. Dass der Text für das einstündige Stück während der zehnwöchigen Probenzeit entstand, merkt man: Schräg, laut und bunt sind die Szenen, wirken einerseits authentisch und lebhaft, andererseits aber zusammengestückelt und nicht ganz rund. Vor allem das abrupte Ende lässt das Publikum etwas ratlos zurück.

Wieder 23., 26.-28.11., 18 Uhr, Einlass von 16.45 bis 17.30 Uhr; JVA Charlottenburg, Friedrich-Olbricht-Damm 17, Moabit, Karten mind. 5 Tage vor der Vorstellung an der Volksbühne, Tel.: (030) 24 06 57 77

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