»Weil wir Frauen, weil wir Mütter sind ...«
Vor 100 Jahren: Internationaler Friedenskongress in Basel - mit einer fulminanten Rede von Clara Zetkin
Am 24. November 1912 läuteten die Glocken des Baseler Münsters zu einer machtvollen Friedensdemonstration. Sozialisten aller Länder hatten angesichts der von Tag zu Tag wachsenden Gefahr eines Weltkrieges im November 1912 kurz entschlossen zum Außerordentlichen Sozialistenkongress der II. Internationale »Gegen den Krieg« aufgerufen. Über 555 Delegierte aus 23 Ländern folgten dem dringenden Ruf nach Basel.
Der Große Rat der Stadt überließ den internationalen Sozialisten weit über die Stadt hinaus bekannte öffentliche Gebäude und Plätze. Der Kongress tagte in der Burgvogtei, die große Friedensdemonstration sammelte sich mit ihrem roten Fahnenmeer auf dem Kasernenhof und führte unter großer Beteiligung der Bürger von Basel und Umgegend durch die Innenstadt auf den Münsterplatz und zu den Rheinterrassen. Seinen Abschluss und Höhepunkt fand der Internationale Friedenskongress im Baseler Münster. In den Stunden höchster Gefahr für den Frieden in der Welt weckten die mitreißenden Reden bedeutender internationaler Sozialisten, angeführt vom Franzosen Jean Jaurès, und die Verabschiedung des Baseler Friedensmanifests bei den Menschen Hoffnungen und stärkten ihren Glauben an die feste und internationale Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien gegen die drohende Kriegsgefahr.
Auch Clara Zetkin standen die Folgen des zu jener Zeit tobenden Balkankrieges deutlich vor Augen: »Für das kämpfende Proletariat ist es die heiligste Verpflichtung dieser ernsten Stunde, Schützer und Bewahrer des Friedens zu sein«, schrieb sie an die Genossinnen des Internationalen Sozialistischen Büros in Brüssel. Clara Zetkin trieb die Sorge um, »dass nur sehr wenig weibliche Delegierte nach Basel kommen«. Sie hielt es daher für ihre Pflicht, als Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale an dem Kongress teilzunehmen und unterrichtete die Genossinnen in Brüssel, »bereits Schritte beim deutschen Parteivorstand getan« zu haben, »um ein Mandat zu erhalten«.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ging aus den Januar-Wahlen 1912 als stärkste Partei hervor. In ihrer Führung machten sich mit dem Wahlerfolg Zufriedenheit und Passivität breit. Die Schwüre der Internationalen Sozialistenkongresse von Stuttgart und Kopenhagen, im Falle eines Kriegsausbruchs, »mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen«, verhallten in vielen Büros sozialdemokratischer Parteiführer und Reichstagsabgeordneter. In der stärksten Partei der II. Internationale zeigten sich zunehmend nationalistische Tendenzen.
Aber auch ohne ein formales Mandat glaubte Clara Zetkin, dass der Sozialistenkongress ihr kaum das Recht bestreiten werde, als internationale Vertreterin an dessen Beratungen teilzunehmen und im Namen der Sozialistinnen im Plenum eine Erklärung abzugeben. Sie meinte, dass die Frauen der Sozialistischen Internationale »in den ersten Reihen bei den Aktionen für die Erhaltung des Friedens stehen müssen« und dass die sozialistische Internationale »bei diesem Kampfe die Mitwirkung der Frauen gar nicht entbehren kann«.
Unter den »ungewöhnlichen und verantwortungsschweren« Umständen werde es den sozialistischen Frauen nicht möglich sein, sich an diesem Kongress in einer Stärke zu beteiligen, die ihrem Interesse an der Erhaltung des Friedens entsprochen hätte. Umso dringlicher benannte Clara Zetkin in einem Zirkular die Aufgabe der sozialistischen Frauen, mit der gesamten Sozialistischen Internationale im Kampf gegen den Krieg zusammenzustehen. Fünf Minuten Redezeit gewährte man ihr auf dem Kongress. Sie gingen in die Geschichte ein. Louis Aragon setzte Clara Zetkin ein wunderbares literarisches Denkmal in seinem Roman »Die Glocken von Basel«.
Liest man Clara Zetkins Rede heute, lächelt man schon ein wenig über das Pathos, doch ist ihr Ringen um die passenden Worte auch nach hundert Jahren beeindruckend. »Wir sind mit Euch mit allem, was wir sind, mit allem, was wir fühlen! Gerade weil wir Frauen, weil wir Mütter sind!«, wandte sie sich an die Delegierten. »Alles, was in uns lebt als persönlicher Ausdruck allgemeiner Menschheitsentwicklung, allgemeiner Kulturideale, empört sich, wendet sich schaudernd ab von dem Gedanken an die drohende Massenzerstörung, Massenvernichtung menschlicher Leben im modernen Kriege.« Stürmischen Beifall notiert das Protokoll des Kongresses an der Stelle, als Clara Zetkin im Baseler Münster ausrief: »Der Krieg ist nichts als die Erweiterung und Ausdehnung des Massenmordes, dessen sich der Kapitalismus auch im sogenannten Frieden zu jeder Stunde am Proletariat schuldig macht.«
Für den Kapitalismus seien Kriegsrüstungen und Kriege Lebensnotwendigkeiten, durch die er seine Herrschaft aufrechtzuerhalten suche, fuhr sie fort. »Er macht daher die gewaltigsten Machtmittel dem Kriege verschwenderisch dienstbar: die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, Wunder der Technik, ungezählte Reichtümer, Millionen Menschen.« Clara Zetkin warb in Basel für eine Massenbewegung gegen den Krieg, die ohne die proletarischen Frauen undenkbar sei. Denn sie sind die Hälfte der Masse und »als Frauen haben wir, wie bei der Arbeit des Alltags, so auch in den Stunden schwerster, gefahrdrohender Kämpfe unsere eigenen geistigen und sittlichen Werte darzubringen«.
An diesem Wochenende erinnert übrigens in Basel ein Kongress an die denkwürdige Friedensinitiative von Sozialisten und Sozialistinnen vor hundert Jahren.
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