Tabak ist nicht nur für Raucher schädlich

Alternativen zum Kreislauf aus Armut und Verschuldung in den Anbauländern des Südens

  • Jürgen Weber
  • Lesedauer: 4 Min.
Mehr als 80 Prozent des weltweit gehandelten Tabaks werden im Süden produziert - zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion und unter oft erbärmlichen Bedingungen für die Arbeiter und Arbeiterinnen. Die internationale Tagung in Berlin »Tabak: Cash Crop ohne Alternative?« wirft heute ein Blick hinter die Kulissen der Tabakproduktion.

Wo noch vor wenigen Jahren Winterreis, Hülsenfrüchte, grüner Chili und Kartoffeln angebaut wurden, säumen heute dunkelgrüne Tabakfelder die Berglandschaft im Distrikt Barbandam im Südosten von Bangladesch. Wurden 1991 hier nur rund 15 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für den Anbau von Tabakpflanzen genutzt, waren es 2009 bereits 75 Prozent. Ungeachtet der weltweiten Kritik lassen internationale Tabakkonzerne weiterhin uneingeschränkt große Mengen des Genussmittels Tabak produzieren und suchen nach immer neuen Anbauregionen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen in Ländern mit extensivem Tabakanbau wie Bangladesch, Brasilien und Kenia fordern einen Stopp der Tabakkultivierung auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. »Wir müssen den Tabakanbau kontrollieren, denn die Ausweitung des Tabakanbaus stellt eine weitere Bedrohung für die Ernährungssicherheit dar«, erklärt Farida Akther von UBINIG, einer Nichtregierungsorganisation in Bangladesch. Rund 70 Prozent der 16 Millionen Einwohner Bangladeschs leben vom Ackerbau.

Die Zunahme des Tabakanbaus in den Ländern »des Südens«, in denen mehr als 80 Prozent des weltweit gehandelten Tabaks produziert wird (rund 6 Millionen Tonnen), verschärft die weithin bekannten Probleme in der Tabakindustrie: Kinderarbeit, Umweltzerstörung, Ernährungsunsicherheit, schleichende Vergiftung der ArbeiterInnen. Für die vielen kleineren Tabakbauern bedeutet der Einstieg in die Tabakproduktion, dass sie vom Weltmarkt für Rohtabak und den Geschäftspraktiken der internationalen Tabakindustrie abhängig werden; für die allermeisten heißt dies zunehmende Armut und Verschuldung.

Um Alternativen zum Tabakanbau geht es vielen Initiativen, die in den letzten zehn Jahren in Ländern »des Südens« entstanden sind. So setzt ein von der Regierung Brasiliens unterstütztes Programm für die Diversifizierung in Tabakanbaugebieten vor allem auf Personal- und Organisationsentwicklung und einer gemeinsamen Planung von Tabakpflanzern und lokalen Behörden. Brasilien ist mit rund 180 000 Tabak produzierenden kleinbäuerlichen Haushalten der weltweit zweitgrößte Produzent und der größte Exporteur von Rohtabak. In der Gemeinde Dom Feliciano/RS wurden in einem Pilotprojekt eine Geflügelfarm, eine Aquakultur-Anlage und ein Milchbetrieb als Alternative zum Tabakanbau gefördert. Beratungsangebote für den Ausbau der heimischen Landwirtschaft und Forschungen über den Alltag von Tabak produzierenden Frauen, sind weitere wichtige Aspekte des Programms. Für die Steuerung des weit verzweigten Programms wurde 2008 ein Netzwerk eingerichtet, in dem Vertreter von 25 Partnerorganisationen eingebunden sind. Adriana Gregolin vom Ministerium für Agrarentwicklung ist sich sicher: »Innerhalb weniger Jahre können wir mit dem Programm alle in der Tabakkultivierung arbeitenden Familien erreichen.«

In der Region Nyanza in Kenia wird mit der Produktion von Bambus versucht, einen neuen Industriezweig zu etablieren. Wie Jacob K. Kibwage erklärt, gibt es über »2000 bekannte Anwendungsbereiche für Bambus. Ernten sind für 80 bis 120 Jahre möglich, für den Anbau bedarf es keiner großen Investition und das jährliche Einkommen aus der Bambusproduktion liegt etwa vier bis fünf Mal höher als beim Tabakanbau und sogar zehn Mal höher, wenn der Bambus in der Kommune zu verschiedenen Produkten wie Körbe, Möbel, Zahnstocher oder anderen handgearbeiteten Gegenständen weiter verarbeitet wird«.

Inzwischen sind vier Bambus-Kooperativen für 240 ehemalige Tabakbauern und -bäuerinnen in Kenia entstanden. »Ein Markt für die Bambusprodukte könnte in drei Jahren aufgebaut werden«, sagt Kibwage, der Leiter des von 2006 bis 2012 laufenden Projekts »Bambus als eine alternative Strategie für kleine Tabakfarmer«.

Mit alternativen Ansätzen, die die Beteiligten schon in den Prozess der Suche mit einbeziehen, arbeitet auch UBINIG und die aus ihr hervorgegangene Nayakrishi Andolon (Neue Landwirtschafliche Bewegung) in Bangladesch. Tabakpflanzer werden ermuntert, vom Tabakanbau zu anderen Formen der Landwirtschaft zu wechseln. Farida Akhter weist aber darauf hin, dass sie keine Alternativen anbieten. »Wir sagen, wenn Du willst, dann baue wieder die alten Früchte an.« Grundlage hierfür bilden die seit 2006 von den Gemeinden selbst geleiteten Forschungen in drei Tabakanbaugebieten über Bodenfruchtbarkeit, Umweltbedingungen und den Nettoertrag beim Anbau von Tabak und anderen Feldfrüchten wie Kartoffeln, Mais, Kurkuma und Hülsenfrüchte. Altes Saatgut wird unter den Gemeinden der Nayakrishi Andolon in einem Saatgut-Netzwerk getauscht. An vielen Orten in Bangladeschs Tabakanbaugebieten wird bereits eine ökologische und auf Biodiversität beruhende Landwirtschaft betrieben, mit dem Ziel, Ernährungssouveränität zu erreichen.

In Deutschland ist Unfairtobacco.org bei der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung (BLUE 21) das einzige Projekt, das sich mit Tabakanbau in Entwicklungsländern und mit Alternativen dazu beschäftigt. Mit Veranstaltungen zu diesem Thema, die dieser Woche in Berlin stattfinden »möchten wir in der deutschen Öffentlichkeit zeigen, welche Folgen der Tabakanbau in Ländern des Südens hat und dass es Alternativen zu diesem Kreislauf der Armut gibt«, so Sonja von Eichborn, Projektkoordinatorin von Unfairtobacco.org

Tabak: Cash Crop ohne Alternative? Internationale Tagung in Berlin, 28. November, 12.30 - 20 Uhr, Ort: Armony-Hotel, Mariannenplatz 26, 10997 Berlin.

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