Italiens Linke sucht ihren Spitzenkandidaten
In der Stichwahl muss sich Demokraten-Chef Bersani gegen Nachwuchspolitiker Renzi beweisen
Am nächsten Sonntag wird sich entscheiden, wer das Mitte-Links-Bündnis in Italien bei den Parlamentswahlen im Frühjahr anführen wird. Dann nämlich findet die Stichwahl zwischen Pierluigi Bersani und Matteo Renzi statt, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben. Am vergangenen Wochenende hat der erste Durchgang der Vorwahlen stattgefunden.
Der Andrang an den Wahllokalen war enorm, an einigen mussten die Menschen zwei Stunden warten, bevor sie ihre Stimme abgeben und damit entscheiden konnten, wer Spitzenkandidat der Mitte-Links-Koalition wird. Rund 45 Prozent erhielt der derzeitige Vorsitzende der Demokratischen Partei (PD), Pierluigi Bersani, gefolgt vom Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, mit 35,5 Prozent, der sich die »Verschrottung« der alten PD-Nomenklatur auf die Fahnen geschrieben hat. An dritter Stelle landete mit 15,6 Prozent Nichi Vendola, Ministerpräsident von Apulien und Parteichef der SEL (Linke-Ökologie-Freiheit), die mit den Demokraten eine Wahlkoalition bilden wird. Weit dahinter liegen Laura Puppato und Bruno Tabacci.
Mit der Wahl des Spitzenkandidaten wird am kommenden Sonntag auch entschieden, welche Ausrichtung die Demokraten bekommen, die nach jüngsten Meinungsumfragen Italiens stärkste Kraft sind und damit nach erfolgreichen Wahlen das Recht erhalten könnten, den Ministerpräsidenten zu stellen. Bersani repräsentiert - vereinfacht gesagt - die Mitte und die Tradition; Renzi könnte man innerhalb des Bündnisses eher als »rechts« bezeichnen und als Produkt von fast 20 Jahren »Berlusconismus«.
Während Bersani (61), der sich vor allem dem Thema »Arbeit« gewidmet hat, viele Anhänger in »seiner« Region Emilia-Romagna, in Rom und im Süden des Landes hat, war der 37-jährige Renzi bei den Vorwahlen in der Toskana und allgemein im reicheren Teil Italiens erfolgreich. Er spricht gern von »Leistung« und »Erneuerung«.
Absolut beachtlich ist das Ergebnis Nichi Vendolas, wenn man bedenkt, dass seine Partei SEL in den Umfragen bei etwa sechs Prozent liegt. Er war der einzige Kandidat, der die harte Sparpolitik von Ministerpräsident Mario Monti strikt ablehnt. Die Stimmen, die für ihn abgegeben wurden, zeigen, dass sich doch viele Italiener eine klare Wende in der Politik zu einem antikapitalistischen Kurs wünschen.
Wie die Stichwahl ausgehen wird, ist noch völlig offen: Man müsste annehmen, dass die Menschen, die für Vendola gestimmt haben, sich Bersani näher fühlen als Renzi; außerdem hat die Vorsitzende der größten italienischen Gewerkschaft CGIL, Susanna Camusso, bereits erklärt, dass sie einen Sieg Renzis als »ein Problem« empfinden würde.
Egal wer zum Spitzenkandidat gekürt wird, der große Sieger dieser Vorwahlen steht bereits fest: die Lust auf Politik, der Wunsch, bei den wichtigen Entscheidungen im Lande mitzumischen, die Leidenschaft für die Partizipation, also die Demokratie. Für Italien ist das vielleicht das wichtigste Ergebnis. Nach zwei Politikdekaden im Zeichen Silvio Berlusconis, in denen viele nur dem Wort des »Gesalbten des Herrn« folgten, ohne darüber nachzudenken, was ihnen aus allen Fernsehkanälen und Medien vorgesetzt wurde, und die Worte »Antipolitik« und »Politikverdrossenheit« zum Allgemeingut gehörten, könnte dies ein Neuanfang sein. Zumindest die über drei Millionen Menschen, die an den Vorwahlen der Mitte-Links-Koalition teilgenommen haben, stehen für diesen Neuanfang.
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