Kabilas Regime ist diskreditiert
Die Rebellenbewegung M23 bringt mit ihrer Offensive den Präsidenten der DR Kongo in große Bedrängnis
Die Eroberung der Millionenstadt Goma brachte neue Bewegung in den kongolesischen Bürgerkrieg. Die Rebellengruppe M23 marschierte unter der Führung Sultani Makengas in der vergangenen Woche in die Metropole des Ostens der Demokratischen Republik Kongo ein. Damit erreichten die Rebellen, dass die Regierung Kongos direkte, wenn auch nur informelle Verhandlungen mit ihnen begonnen hat. Denn bis dahin hatte sich Präsident Joseph Kabila geweigert, mit der M23 zu sprechen. Stattdessen verhandelte Kabila mit den mutmaßlichen Unterstützern der Rebellen, den Präsidenten der Nachbarländer Uganda, Yoweri Museveni, und Ruanda, Paul Kagame, ohne dass daraus eine Lösung erwachsen wäre.
Nun musste die militärisch in Goma vollständig geschlagene Regierung einsehen, dass für die nationale Dimension des Konflikts eine innerkongolesische Lösungsstrategie erarbeitet werden muss. Forderungen der M23 unter anderem nach Auflösung der umstrittenen Wahlkommission und Beteiligung der zivilen Opposition an der Regierung lehnte Regierungssprecher Lambert Mende allerdings ab. »Es ist eine Farce, das ist das richtige Wort«, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. »Wenn sie jeden Tag mit neuen Forderungen zurückkommen, wird das lächerlich. Wir sind nicht länger im Bereich der Ernsthaftigkeit.«
Tatsächlich hatte die M23 zuvor vor allem Verbesserungen für die eigenen Mitglieder gefordert. Die Erweiterung der Forderungen könnte der Versuch sein, ein Bündnis mit der zivilen Oppositionspartei UDPS (Einheit für Demokratie und sozialen Fortschritt) vorzubereiten, um eine ernsthafte militärisch-politische Alternative zu bilden. Denn zur Zeit ist die M23 nur eine lokale Macht. Vor allem in der weit entfernten Hauptstadt Kinshasa spielen die Rebellen noch keine Rolle. Allerdings wird die UDPS intensiv prüfen, ob sie mit Rebellen ein Bündnis eingehen will, die von vielen als Handlanger der Nachbarstaaten angesehen werden.
Bisher hatten sich die Ziele der Rebellen auf ein am 23. März 2009 - daher der Name M23 - geschlossenes Abkommen zwischen der Regierung Kabila und der M23-Vorgängerorganisation CNDP bezogen. In diesem Abkommen war die Integration der Rebellen in die Nationalarmee vereinbart worden, aber auch, dass die neuen Soldaten nicht in andere Landesteile versetzt werden. Mehrere Jahre hatte das Abkommen Bestand. Es erlaubte den Rebellen, ihre Befehlsketten in der Armee und die lukrative illegale Kontrolle von Handelswegen aufrechtzuerhalten. Außerdem konnten sie sich weiterhin als Schutzmacht der Tutsi-Ethnie darstellen, deren politischer Status in Ostkongo seit 20Jahren umkämpft ist. Anfang dieses Jahres versuchte die kongolesische Armeeführung jedoch, ehemalige CNDP-Mitglieder in entfernte Regionen zu verlegen. Daraufhin verließen sie die Armee wieder und begannen ihren Eroberungszug, der mit der Einnahme Gomas einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.
Aus internationaler Sicht sind zwei Aspekte von besonderem Belang: zum einen die humanitäre Situation, zum anderen das Verhalten der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Kongo (MONUSCO). Letztere ist immerhin die größte und teuerste gegenwärtige Blauhelmmission, kann aber als auf ganzer Linie gescheitert betrachtet werden. Mehr als zehn Jahre lang setzten die Vereinten Nationen und ihre wichtigsten Mitgliedsstaaten einerseits auf Kabila, andererseits auf die Reform der nationalen Armee. Doch unter der Regentschaft des seit Ende Januar 2001 amtierenden Kabila fiel das Land auf den letzten Platz im Index der Menschlichen Entwicklung zurück, in dem die Lebensumstände der Bevölkerung erfasst werden. Das Regime fälschte die Wahlen im vergangenen Jahr, die möglicherweise von der Oppositionspartei UDPS gewonnen worden wären.
Die Konflikte in Ostkongo dagegen überließ das Regime der Armee. Die allerdings ist auch nach zehn Jahren international geförderter Reformen in einem desolaten Zustand. Viele Generäle wirtschaften in die eigene Tasche, die Soldaten sind vor allem für die unbewaffnete Bevölkerung gefährlich. Aus Angst vor einem Putsch verhinderte das Regime eine straffere Organisation des Militärs. Dies musste auch die MONUSCO eingestehen, die nicht mehr in die Kämpfe mit der M23 eingegriffen hat. Die Vereinten Nationen könnten die jüngsten Ereignisse nun zum Anlass nehmen, ihre politische Strategie zu überdenken.
Ein Ansatz wäre, sich auf den Schutz der Zivilbevölkerung zu konzentrieren. Die militärischen Auseinandersetzungen um Goma haben zu einer weiteren Zuspitzung der humanitären Misere in Ostkongo beigetragen. Statt jedoch wie bisher einseitig das diskreditierte Regime Kabila und dessen Armee zu unterstützen, sollte ein neuer Anlauf zu einer nachhaltigen Friedenslösung gewagt werden.
Unser Autor ist Kongo-Experte und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen.
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