Terror-Fuge
Polit-Farce zum NSU: »Fahrräder könnten eine Rolle spielen« im Ballhaus Naunynstraße
Theater interessiere sie vor allem als Ort, an dem man auch politisch arbeiten könne, so liest man in einem Interview mit Marianna Salzmann: Sie möchte über Verantwortung reden. Für ihr neues, wieder gemeinsam mit Deniz Utlu verfasstes Stück hat sie sich ein hochbrisantes Thema ausgesucht. »Fahrräder könnten eine Rolle spielen« heißt es und ist längst nicht so banal, wie der Titel ahnen ließe. Es greift eine fundamentale »Erkenntnis« auf, die der damalige BKA-Chef Jörg Ziercke zum besten gab, als er zum Ermittlungsstand über die Morde der Zwickauer NSU-Zelle Stellung nehmen musste.
Bekanntlich waren das heute selbst im Konterfei hinlänglich bekannte Trio und ihre Hinterleute an zehn Tötungen überwiegend migrantischer Bürger beteiligt. Auch über die langzeitigen Ermittlungspannen aller untersuchenden Institutionen, ihre mangelnde Zusammenarbeit, vermutlich von mannigfacher Seite bewusst zurückgehaltene Informationen und, besonders skandalös, vielfach geschreddertes Belastungsmaterial weiß man mittlerweile. Damit haben offenbar alle politischen Systeme beste Erfahrung.
Das Duo Salzmann/Utlu setzt freilich die Fakten nicht als Agitprop um, sondern fügt mehrere einzelne Erzählstränge zu einer spielerischen Fuge um das Wegsehen bei unliebsamen Themen. Von Büchner und seinem »Woyzeck« als Mörder aus sozialer Not ließen sie sich nach eigener Aussage anregen und, viel fataler, von den Notizbüchern der Mely Kiyak, die als Journalistin die Sitzungen des NSU-Ausschusses protokollierte. Dennoch bleibt die Handlung der von Lukas Langhoff im Ballhaus Naunynstraße inszenierten Uraufführung freie Autorenerfindung.
An halbrundem Tisch sitzen vor Mikrofonen zwei Frauen, zwei Männer; neben ihnen steht mit krummem Rücken Andreas wie ein Angeklagter, der auf sein Verhör wartet. Und die Zuschauer auf ihren Rängen könnten Gäste eines Politprozesses sein. Doch um Politik scheint es zunächst nicht zu gehen. Denn Andreas ist Leih-Kellner einer Catering-Agentur und nacheinander bei den verschiedensten Anlässen eingesetzt. Auf einer FDP-Tagung wird er als schwul angepöbelt und in peinliche Gespräche verwickelt: Er solle behaupten, Westerwelle tue es unter einem Hakenkreuz. Dabei hat Andreas »bloß« das Buch von Thilo Sarrazin heruntergeladen, weil er es auch mal lesen wollte, und dafür nicht bezahlt: 800 Euro Schulden sollen beglichen werden. Freundin Lea mag nicht einspringen, will ihn aber mit Freunden bekanntmachen.
Zuvor serviert Andreas im Fußballstadion, wo eine Frau von ihm schwarz-rot-goldenes Eis verlangt. Er habe nur Cornetto, sagt er und wird provoziert: Wieso verkaufst du als Deutscher Eis von Italienern, was tun die für uns? Und Türken leben zwar hier, sehen sich im TV aber türkischen Fußball an! Nächste Facette im, zugegeben, spitzfindigen, theaterwirksam überhöhten Puzzle aus deutschen Gehirnstuben ist der Untersuchungsausschuss, wo einer stets hustet, ehe Andreas, der mit dem guten Gedächtnis für die vielen aufgeschnappten Informationen, antworten kann. Nach seinem Anfall taucht der Huster mit neuer Identität auf: mit Hitlers Bärtchen und auch dessen angeklatschter Frisur, fixiert mit Schlamm, der ihm bei seinem Gebalfer übers Gesicht laufen wird. Denn der geldnötige Andreas ist nun bei Leas Freunden, will sich bei ihnen integrieren - und sie lassen ihn, selbst sitzend, ohne Stuhl in einer Sitzhaltung verharren, bis ihm die Knie versagen.
Die Szene mit Basti, dem im Bördeplatt räsonierenden Bärtigen, der seine Kameraden vom Heimatschutz lobt und sich dagegen verwahrt, Nazi zu sein, der pressend und heiser »Unsere Heimat« singt und immer wieder den unsichtbaren Chef Günther anruft, gehört dank Sebastian Brandes zu den schaurigen Kabinettstücken eines vom Autorenduo raffiniert die Dinge verkehrenden Stücks und einer es glitschig umsetzenden Regie. Denn nach der Sicht jener Heimatschützer sind Migranten die Rassisten, vor denen man das Land schützen müsse. Das platzieren Langhoff und sein Bühnenbildner Justus Saretz auf einem Rund voller Schlamm, auf dem sich die Akteure kaum bewegen können, ohne auszurutschen. Deutschland scheint im braunen Sumpf zu versacken, speziell bei den jenen Protokollen nachgestellten Verhörszenen, in denen die Täter in eine islamistische Ecke gedrängt werden, anstatt sie klar dem rechten Terror in diesem Land zuzuordnen. Bastis Idee, für Andreas das Geld aufzutreiben, wird abgesagt, weil der TV-Sender zu wenig Quote witter; Andreas, von Beruf eigentlich Imker, mit Loblied auf den ideal funktionierenden Bienenstaat, rutscht immer tiefer in die Mittäterschaft.
Haarsträubend geht es bald zu, mitunter überzogen auch im guten Wollen, bis die Schauspieler aussteigen: Wir kaspern hier nur rum, statt zur Demo zu gehen. Es gehe aber um Haltung. Das verschlägt Andreas beim Gedicht über Bienen glatt die Sprache.
Bis 30.11., 20 Uhr, Ballhaus Naunystr. 27, Kreuzberg, Telefon 75 45 37 25, www.ballhausnaunynstrasse.de
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.