Die Krisenwelle schwappt gen Osten
Wie aus Musterschülern Problemfälle wurden
Das wohl interessanteste Detail der jüngsten WIIW-Pressekonferenz war die Selbstkritik: Vasilij Astrov gab zu, dass das Institut seine Vorhersagen für dieses Jahr nach unten revidieren musste. Einzige Ausnahmen seien die Slowakei und Litauen. Beiden kamen vergleichsweise engere Beziehungen mit Russland zugute. Der Slowakei ist es durch eine Auffächerung des Exports gelungen, die einseitige Orientierung auf den EU-Markt ein wenig aufzubrechen. Geschuldet ist dies auch den neuen Exportmärkten des VW-Konzerns, der seine in Bratislava erzeugten Autos in größerer Zahl nach Russland und China liefert. Andererseits droht Ungemach aus dem fernen Westen. Gerüchte über den Rückzug von US-Steel aus dem Stahlwerk Kosice lösen Unruhe aus.
Wie stark die Abhängigkeit osteuropäischer Volkswirtschaften vom EU-Raum ist, zeigt die Statistik der Güterexporte. Länder wie Tschechien, Ungarn, Polen und Rumänien liefern weit über 50 Prozent ihrer Waren in die Eurozone. Weil dort die Nachfrage sinkt, stehen die »aufstrebenden Märkte« von einst nun schlecht da. Etwas dynamischere Entwicklungen orten die Experten nur im Baltikum und der Ukraine, wo sie sogar steigende Löhne verzeichnen.
Slowenien ist derzeit das Sorgenkind der EU. Nach dem Platzen der heimischen Immobilienbörse steht das Land mit bankrotten Banken da. Der Wunsch der wirtschaftsliberalen Elite, die faul gewordenen, weil nicht mehr bedienbaren Kredite in eine »Bad Bank«, also ins staatliche Budget, auszulagern, wird von Gewerkschaften und Linken heftig kritisiert. Sie kämpfen um ein Referendum zur Frage der »Bad Bank«. Derweil klettert die Arbeitslosenquote Sloweniens sicher auf die 10-Prozent-Marke zu.
Mindestens so dramatisch ist die Lage in den anderen exjugoslawischen Republiken. Keine einzige wird 2012 ein Wachstum aufweisen. »Absturz der Exporte, Einbruch der Binnennachfrage, Dürre in der Landwirtschaft«, umriss Vladimir Gligorov vom WIIW die Situation. Kroatiens bevorstehende EU-Aufnahme wird daran nichts ändern. Stattdessen könnte grenzüberschreitendes Wirtschaften etwa mit Bosnien-Herzegowina durch die EU-genormten Zollvorschriften sogar erschwert werden. Die Arbeitslosenraten dieser Staaten reichen von 13,5 (Kroatien) bis 31,4 Prozent (Mazedonien).
Auch Russlands Wirtschaftszahlen glänzen nicht mehr so wie in vergangenen Jahren. Mit 3,6 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts steht die Föderation zwar weit besser da als die EU-27, das Ziel eines Aufbaus multipler Produktionsstätten blieb allerdings unerreicht. Die Abhängigkeit von Rohstoffexporten ist nicht nur strukturell problematisch, sondern auch aktuell spürbar. In den kommenden Jahren dürften die Gaspreise durch vermehrte Flüssiggastransporte und das Fracking von Schiefergas eher sinken als steigen. Die private Binnennachfrage allein, die in Russland einen Großteil der Wirtschaftsleistung anspornt, kann dieses Problem nicht beseitigen. Es wäre für Moskau höchste Zeit, sagen die WIIW-Ökonomen, mit der Diversifizierung der Produktions- und Exportstruktur ernst zu machen.
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