Gezerre um Getto-Renten
Bundestagsausschuss berät über Nachzahlungen für NS-Opfer
Viele Juden, die während der Nazizeit in den Gettos gearbeitet hatten, haben bisher nur einen Teil der ihnen in einem vor rund zehn Jahren verabschiedeten Gesetz zugedachten Rentenzahlungen erhalten. Denn die Betroffenen haben nur dann einen Anspruch auf Rente, wenn die Arbeit im Getto auch freiwillig erfolgte und sie dafür ein Entgelt erhielten. Ein großer Teil der Anträge wurde nach der Verabschiedung des Gesetzes abgewiesen, weil die Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte die damaligen Lebensumstände in den Gettos bei ihrer Prüfung nicht genügend berücksichtigten.
Das änderte sich erst mit einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2009. Darin wurde entschieden, dass auch die Ausgabe von Lebensmitteln als Entgelt zählen kann. Das Gericht hatte 23 818 Holocaustüberlebenden einen Rentenanspruch zugestanden. Die Antragsteller haben das Anrecht auf eine kleine Rente von 150 oder 200 Euro im Monat. Doch diese erhielten ihre Rente nicht rückwirkend ab 1997, wie es einst der Bundestag entschieden hatte, sondern ab 2005, weil Sozialleistungen in der Bundesrepublik nur vier Jahre rückwirkend gezahlt werden.
Gegen diese Regelung wenden sich neben den Organisationen der Überlebenden auch die Oppositionsfraktionen im Bundestag. Sie haben Anträge eingebracht, wonach die NS-Opfer auch für die Zeit zwischen 1997 und 2005 Geld erhalten sollen. Die Linksfraktion hatte bereits vor einem Jahr eine entsprechende Initiative gestartet. Nach ihren Angaben geht die Deutsche Rentenversicherung davon aus, dass die Betroffenen eine Nachzahlung von im Durchschnitt 7000 Euro erhalten würden. Einige Monate später unternahmen auch SPD und Grüne einen eigenen Vorstoß mit der gleichen inhaltlichen Forderung. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich hingegen noch nicht in diese Richtung bewegt, obwohl auch ihre Fraktionen vor zehn Jahren das Gesetz zu den Getto-Renten unterstützten. Union und FDP befürchten inzwischen offenbar, dass andere Opfergruppen ebenfalls Ansprüche stellen könnten.
Auch die Deutsche Rentenversicherung Bund ist skeptisch. Bei einer gestrigen Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales verwies Professor Franz Ruland, langjähriger Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), auf den angeblich großen bürokratischen und zeitlichen Aufwand. Durch den späteren Renteneintritt sei außerdem der Zugangsfaktor erhöht worden. Dadurch erhalten die Betroffenen auch höhere monatliche Zahlungen. Wenn aber durch eine gesetzliche Regelung der Rentenbeginn im Jahr 1997 statt im Jahr 2005 liegen würde, wäre auch die laufende monatliche Rente entsprechend herabzusetzen.
In der Zeit des juristischen Tauziehens sind inzwischen Tausende der Antragsteller verstorben. Die Überlebenden sind alle hochbetagte Menschen. Eine schnelle Lösung für sie ist weiterhin nicht in Sicht. Uri Chanoch vom Zentrum der Organisationen der Holocaustüberlebenden in Israel berichtete im Ausschuss, wie er und seine Familie im litauischen Getto Kaunas Arbeit gesucht hätten, um nicht von den Nazis ermordet zu werden. Er setzt sich nun für die rückwirkende Zahlung ab 1997 ein. »Wir wollen, dass die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers verwirklicht wird«, forderte der 85-Jährige.
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