Wild gewordene Innenminister
Fanforscher Gunter Pilz findet im DFL-Papier eine große Annäherung an die Fanforderungen
nd: Heute sollen in Frankfurt am Main die 36 Erst- und Zweitligaklubs das Sicherheitskonzept der Deutschen Fußballliga (DFL) verabschieden. Was sagen Sie zu dem überarbeiteten Entwurf?
Pilz: Es ist ein durchaus tragfähiges Konzept. Die DFL hat sich damit klar auf die Seite der Fans geschlagen. Und sie hat auch zugegeben, dass die Art und Weise wie der erste Entwurf zur Diskussion gestellt wurde, sehr ungeschickt war. Das hatte Ängste geschürt, weil die Fans sich ausgeschlossen fühlten. Wenn man das erste Papier mit dem jetzt vorliegenden vergleicht, kann man feststellen, dass fast alle Vorschläge, die von den Vereinen gekommen sind, auch eingearbeitet wurden. Zwar hat sich der Fußball von der Politik unter Druck setzen lassen, aber nun gibt es den Termin und es wäre jetzt das Beste für alle, wenn dieses Papier verabschiedet wird.
Aber auch an der überarbeiteten Fassung gibt es immer noch Kritik. Die großen Fanorganisationen haben es abgelehnt.
Ja, das ist richtig und ich verstehe das auch. Aber ich glaube, Kritik und Ablehnung beziehen sich weniger auf das Papier. Die Fans haben ein sehr feines Gespür für die aktuelle Situation, wo ein paar wild gewordene Innenminister meinen, angesichts bevorstehender Wahlen durch massive Drohgebärden noch mal punkten zu müssen. Und das lässt natürlich Misstrauen und Ängste aufkommen.
Wild gewordene Innenminister?
Mit ständig neuen absurden Ideen versuchen sie Druck zu machen, ob nun Abschaffung der Stehplätze oder Finanzierung von Polizeieinsätzen durch den Fußball, was verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Da gibt es sogar Gegenwind von der Regierung. Bei der Forderung nach Abschaffung der Drittelfinanzierung der Fanprojekte durch den Staat gibt es vehementen Widerspruch seitens der Jugend- und Sozialminister. Sie machen sehr deutlich, dass Fanprojektarbeit eine wichtige Aufgabe der Jugendpolitik ist und insofern sind sie stocksauer über das Vorpreschen der Innenminister. Da rumort also einiges. Wenn morgen die Chance genutzt und etwas entschieden wird, wird sich das Ganze etwas beruhigen, und auch der Medienhype wird vorbei sein.
Politiker machen also Wahlkampf, Medien wollen eine hohe Auflage. Neben wirksamen Bildern von leuchtender Pyrotechnik stützen sie sich dabei auf die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) zur Gewalt im Fußball, die jüngst wieder veröffentlicht wurden.
Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Wenn man die Zahlen richtig interpretiert, kann man nämlich zu ganz anderen Schlüssen kommen. Die Bundesliga hat seit 2000 einen Boom: von 11 Millionen auf 18 Millionen Zuschauer. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der jährlichen Vorfälle um 2000 gestiegen. Wenn man das in ein Verhältnis zu der gestiegenen Fanzahl setzt, kann man sogar von einer Abnahme der Gewalt reden. Von einem Gewaltszenario zu reden, halte ich für völlig übertrieben. Wir hatten in früheren Jahren erheblich mehr Probleme. Und die Zahl der Verletzten ist in zwei Wochen Oktoberfest höher als in einer ganzen Bundesligasaison.
Von den Fans werden oft unverhältnismäßige Polizeieinsätze kritisiert. Was sagen Sie dazu?
Es gibt bei den Zahlen der ZIS eine ganz besonders interessante Entwicklung. Die Zahl der verletzten Fans und der Unbeteiligten ist gestiegen, die der verletzten Polizisten aber zurückgegangen. Etwas, was völlig gegen den Trend in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen steht. Die Zunahme der Verletzten ergibt sich durch Polizeieinsätze. Es ist beispielsweise völlig falsch, mit Tränengas und Pfefferspray in die Blöcke zu gehen. Ohne auch nur einen Funken entschuldigen zu wollen: Nicht nur die Chaoten unter den Fans tragen Schuld, sondern auch die Polizei sorgt durch falsche Strategien für eine Eskalation der Gewalt. In dem neuen DFL-Papier sollen die Sicherheits- und Fanbeauftragten der Vereine verpflichtet werden, in einem Spieltag-Berichtsbogen alle positiven und negativen Ereignisse auch zu dokumentieren. Dann gibt es neben den Meldungen der Polizei endlich auch die vom Verein.
Hat der permanente Druck aus der Politik und der Medienhype vielleicht auch etwas Gutes? Immerhin haben die Fans dadurch über Vereinsgrenzen hinweg gemeinsame Proteste organisiert und sich geschlossener präsentiert als in der Vergangenheit.
Ja, das stimmt. Aber noch viel entscheidender ist, dass die Vereine ihre Fans jetzt ernstnehmen. Viele Klubs hatten vorher im Prinzip ja überhaupt keine Beziehung zu ihren Fans. Und jetzt ist bei fast allen - ich würde sogar behaupten bei allen Vereinen - in der Präsidenten- und der Vorstandsriege klar geworden, wie wichtig es ist, dass sie nicht über ihre Fans, sondern mit ihnen reden müssen. Es wurde ihnen klar, wie wichtig es ist, die Fans in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen, wie wichtig der Dialog ist. Und der hat ja jetzt auch eingesetzt. Die Vereine haben sich mit den Fans zusammengesetzt, über das DFL-Papier diskutiert und gemeinsam Vorschläge erarbeitet. Das ist wirklich positiv. Und ein ständiger und verbindlicher Dialog ist ja sogar im neuen DFL-Konzept statuarisch festgeschrieben. Da kann kein Verein mehr raus.
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