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Beraten statt klagen

Kommunikationsoffensive soll Hartz-IV-Verfahren eindämmen

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor der Arbeitsagentur in Mitte forderten gestern Aktivisten »Schluss mit Sanktionen«. Soweit gingen die Maßnahmen natürlich nicht, die Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) gestern im Berufsinformationszentrum der Agentur zu verkünden hatte. Aber immerhin die Zahl der Hartz-IV-Klagen soll eingedämmt werden. Und zwar vor allem durch eine bessere Verständlichkeit und Transparenz der Bescheide, wie Heilmann sagte.

Denn die Hartz-IV-Gesetze sind nicht nur arbeitsmarktpolitisch kein Erfolgsmodell, sondern auch juristisch. Die Sozialgerichte können die Klageflut kaum bewältigen. Gingen 2005 zu Beginn der Arbeitsmarktreform 5000 Klagen gegen die Bescheide ein, hatte sich diese Zahl binnen weniger Jahre versechsfacht. 2011 gab es zwar einen leichten Rückgang, aber eine Trendwende sei nicht in Sicht, sagte die Präsidentin des Berliner Sozialgerichts, Sabine Schudoma. Auch in diesem Jahr werde es 29 000 neuen Verfahren geben, im Schnitt alle 18 Minuten gehe eines am Gericht ein. 65 Prozent aller Klagen am Sozialgericht drehen sich um Hartz IV.

Insgesamt sind noch 42 000 offene Verfahren anhängig. Um den Aktenberg abzuarbeiten, müsste man das Gericht ein Jahr schließen. An den Richtern liege das nicht, die erledigten mehr Fälle als woanders in Deutschland, sagte Schudoma und schob den Stoßseufzer hinterher: »Nach acht Jahren Klageflut sehne ich mich nach Ebbe.«

Wie die erreicht werden kann, blieb weitgehend unklar. Heilmann verwies auf die komplizierte Hartz-IV-Gesetzgebung als eine Quelle der Klagen. Dass die Bundesregierung dies bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 noch grundlegend reformiere, sei unwahrscheinlich. Also müsse man etwas auf regionaler Ebene tun. Herausgekommen ist ein »behördenübergreifendes Aktionsprogramm« mit 38 Einzelmaßnahmen, mit denen die Zahl der Klagen um ein Viertel gesenkt werden soll, wie Dieter Wagon, Chef der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, hofft.

So sollen die Jobcenter ihre Arbeit qualifizieren und ihre Bescheide verständlicher formulieren, damit die Entscheidungen für die Betroffenen nachvollziehbarer werden. Mit diesen soll es auch mehr Gespräche geben, zum Beispiel im Vorfeld von Widerspruchsverfahren. »Mehr Kommunikation, weniger Rechtsstreit«, lautet Wagons Parole. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit für ein menschliches Miteinander, ist jedoch für die Behörde ein »Paradigmenwechsel«, wie Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, betonte. Normalerweise sehen Verwaltungsverfahren nur schriftliche Korrespondenzen vor. Gesprochen wird mit klagenden Hartz-IV-Empfängern ansonsten erst, wenn der Richter zum Verhandlungstermin lädt.

Auch Schudoma glaubt, dass sich damit viele Verfahren erledigen würden. Denn am Berliner Sozialgericht enden viele Verfahren ohne Urteil, weil sich die beiden Seiten einigen. Das könnte man schon eher erreichen, wenn man nur eher miteinander spricht.

Dass die hohe Zahl der Klagen auch etwas mit der Personalsituation der Jobcenter zu tun habe, wollte der Chef der Arbeitsagentur so nicht stehen lassen. Sie habe sich stabilisiert. Außerdem seien von 685 000 Bescheiden im vergangenen Jahr nur drei bis vier Prozent in ein Klageverfahren gegangen. Die Mitarbeiter bewältigten »tagtäglich einen Rechtsbereich der Sozialpolitik mit höchster Komplexität und einer Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen«, so Wagon. Sie mussten mit über 50 Gesetzesänderungen klar kommen seit in Kraft treten von Hartz IV.

Monika Paulat glaubt, dass die Jobcenter die Zeichen der Zeit erkannt hätten. Auch in Brandenburg werde ein ähnliches Gemeinschaftsprojekt vorbereitet. Eine Absprache bei der Rechtsprechung müsse aber niemand befürchten, versicherte sie.

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