Sozialistische Transformation: über einen Tagungsband der Luxemburg-Stiftung
Das Ziel jener „sozialistischen Transformationsforschung", um die es dabei geht, formulierte die Luxemburg-Stiftung einmal so : Es gehe um ein Konzept „mittlerer Reichweite", das die von Boaventura de Sousa Santos identifizierte „Distanz zwischen der Praxis der (...) Linken und den klassischen linken Theorien" überwindet. „Aus dieser zum Teil bestehenden wechselseitigen Blindheit von Theorie und Praxis geht eine Untertheoretisierung der Praxis wie eine Irrelevanz der Theorie hervor. Dieses Aneinander-Vorbei erzeugt auf der Seite der Praxis oft ein Schwanken zwischen der revolutionären Spontaneität und einer bis zur Wirkungslosigkeit selbstbeschränkten Politik des Möglichen. Auf der Seite der Theorie erzeugt dies nicht selten ein Hin und Her zwischen einem Bestreben der nachvollziehbaren Anpassung post factum und einer arroganten Indifferenz gegenüber allem, was die Theorie nicht erfasst."
Das klingt zunächst einmal ziemlich kompliziert, ist es natürlich in der Praxis auch: Linke verschiedener Couleur sind mit dem - entweder selbst gedachten oder in der politischen Diskussion aufgemachten - Gegensatz zwischen einem „Fernziel" demokratischer Sozialismus und den aktuellen Kämpfen um Reformen zur Verbesserung der Lebenslagen (und der Voraussetzungen für jedwede Veränderung) konfrontiert. Es ist die alte Kluft zwischen Reform und Revolution, die in einer „revolutionären Realpolitik" aufzulösen so etwas wie die Leitidee diverser Denkanstrengungen der Luxemburg-Stiftung schon länger ist (siehe etwa hier und hier und hier); ein Ansatz, der freilich auch in der Linken kontrovers debattiert wird.
Um ein großes Wort aufzunehmen: Es ist das Komplizierte, das schwer zu machen ist. Es geht um die, wie man es bei der Luxemburg-Stiftung formuliert, Suche „nach Wegen der sozialistischen Bearbeitung der realen Widersprüche emanzipatorischer Bewegung", um den immerwährenden Anlauf, „eine Politik der Gegen-Hegemonie" in Gang zu setzen, „die auf transformatorische Bündnisse zielt", um eine „Veränderung der Kräfteverhältnisse" sowie um die „Einleitung eines Richtungswechsels der Gesellschaftspolitik und eine sozialökologische Transformation" miteinander verbindet.
Transformation, das ist ein großes Wort, und sicher gibt es an solchen Begriffssetzungen auch Kritik, ist die Skepsis jener verständlich, die mutmaßen, hier werde versucht, alte Theorietradition und politische Selbstverständnisse einer Linken abzustreifen, deren Radikalität sich lange daran maß, wie laut das Wort Revolution ausgesprochen wurde - oder die im Gegenteil glaubte, weil es mit der Besetzung des Postamtes auch nichts werde, müsse man sich mit ewigen Reformen langsam in etwas hineinentwickeln, dass dann bald schon gar nicht mehr verschieden war vom Gegenstand linker Kritik. Dietmar Dath hat dieses Unbehagen einmal auf den polemischen Punkt gebracht, „dass ein gut auswendig gelernter Marx im Zweifelsfall immer noch besser funktioniert als ein schlecht selbst ausgedachter ,dritter Weg'".
Aber lassen sich damit auch die Denkanstrengungen einer „sozialistischen Transformationsforschung" abtun? Nein, auch wenn man sich beim akademischen Wortgeklingel, das nun in den Readers zur angesprochenen Tagung Eingang gefunden hat, einige Sorgen über die reale politische Reichweite machen kann. Das alles spricht freilich nicht dagegen, sich mit Transformationspfaden, Kipppunkten, Transitionskonzepten, Übergängen, möglichen Zukünften und so fort zu befassen - im Gegenteil. Es wäre zu wünschen, wenn die dokumentierten Beiträge in eine breitere linke Debatte zurückfinden, an Kritik wachsen und in „wirkliche Bewegung" münden würden. Auch ein Jahr nach der Tagung. Was sind schon zwölf Monate bei einem Projekt „sozialistischer Transformation".
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