Weitermachen wäre Unsinn gewesen
Der Cottbuser Turner Philipp Boy über seinen Rücktritt, seine Zukunftspläne und den nd-Sportpokal
nd: Dieses Interview ist über Ihren Manager verabredet. Wie lange benötigen Sie dessen Dienste noch, wo Ihre Karriere doch seit dem 1. Dezember beendet ist?
Boy: Wir führen derzeit gemeinsam eine Menge Gespräche darüber, wie es für mich beruflich weitergehen kann. Es geht auch darum, was ich weiter für den deutschen Spitzensport tun kann. Zum Beispiel bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe, die einer der größten Förderer im deutschen Sport ist. Dort würde ich mich als ehemaliger Turner gerne einbringen. Auch mit meinen großen Sponsoren gibt es noch Gespräche darüber, wie man weiterhin zusammen arbeiten könnte. Da kann ein erfahrener Manager an meiner Seite nicht schaden.
Sie haben seit dem missglückten Olympiastart nicht mehr trainiert. Wie halten Sie sich seitdem fit?
Im Moment? Ich muss gestehen, so gut wie gar nicht. Ich habe seit London nichts gemacht, außer einmal noch geturnt: für Werbeaufnahmen eines Turngeräteherstellers.
Und sonst? Kein Fitnesstraining? Schwimmen? Sind Sie nicht mal gejoggt?
Nein, nicht mal das. Und wenn ich mir meinen Körper anschaue, sehe ich das natürlich auch. Aber da werde ich mich schon bald wieder disziplinieren. Ich muss unbedingt was tun. Ich spiele gerne Tennis, auch Golf mag ich. Und Laufen und Fitness gehören einfach mal dazu.
Aber turnen werden Sie nicht mehr? Geht's nie wieder ans Reck?
Nein. Das kommt mir selbst manchmal noch ganz unwirklich vor. Denn das Reck war immer mein Lieblingsgerät, mit Abstand.
Es wird Ihnen nichts fehlen?
Nein! Da bin ich mir ganz sicher.
Als Sie in Stuttgart Ihren Rücktritt erklärt haben, hieß es, Sie würden sich nun um Ihre zwei Imbisse in Cottbus kümmern. Was gibt's dort zu essen?
Ach ja, die »Imbisse«! Das hat mich echt aufgeregt! Das sind keine Imbisse, sondern Restaurants, die ich mit einem Partner führe. Eines heißt »Brotzeit« und ist eine Sportbar, in der man auch wetten kann, das andere heißt »Sandwichmanufaktur«. In beiden kann man gut essen. Schön, dass ich das mal klarstellen kann. Gastronomie soll eines der Standbeine für meine Zukunft sein, wenn auch nicht das wichtigste.
Gibt's denn sonst noch was klarzustellen?
Ja. Die Sache mit dem Reck und den psychischen Blockaden nach dem Sturz in Stuttgart 2011. Da ist viel in meinen Rücktritt hineininterpretiert worden. Vor allem der Blödsinn, dass ich wegen einer Blockade aufgebe! Ich bin nicht wegen des Sturzes 2011 zurückgetreten, sondern weil ich nach London innegehalten und überlegt habe: Bin ich bei Olympia 2016 in Rio mit 29 Jahren und all den Wehwehchen in der Lage, in den Kampf um die Medaillen einzugreifen? Das habe ich so nicht mehr gesehen. Es wäre sportlich wie finanziell Unsinn gewesen.
Wo tut Ihr Körper am meisten weh nach 20 Jahren Turnen?
Also es gibt schon ne Menge Stellen, wo's mal zwackt. Aber ich verrate lieber nicht so viel, schließlich muss ich mir noch eine Krankenkasse suchen.
Sie tragen heute Hemd und Krawatte - klare Zeichen, dass es als »Geschäftsmann« weitergeht?
Ja na klar. Das möchte ich gerne. Ich hab ja auch mal eine Banklehre angefangen, und die lag mir sehr. Aber ich musste aufhören, weil ich den Sport sonst nicht geschafft hätte. Und es war richtig: Im Jahr darauf wurde ich prompt Vizeweltmeister. Nun muss ich die Zeit nutzen, um für die Zukunft vorzusorgen. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, beim Fernsehen als Experte mitzumachen. Da gab es schon positive Signale von TV-Sendern an mich. Aber das ist alles noch nicht klar.
Sie sind der erste aus dem »goldenen« Jahrgang 1987, der zurücktritt …
Ja, uns haben wirklich immer alle bestaunt: Marcel Nguyen, Fabian Hambüchen und Thomas Taranu, das ist schon eine echte Häufung von guten Turnern, dazu kam noch Matthias Fahrig aus Halle, der Jahrgang '85 ist.
War Ihr Verhältnis untereinander vom Konkurrenzdruck bestimmt?
Nein. Mit Marcel bin ich sehr gut befreundet, auch mit Thomas und Matthias. In Cottbus habe ich von klein auf gemeinsam mit Steve Woitalla trainiert, Jahrgang '88, der aber den Übergang vom Nachwuchs zu den Erwachsenen leider nicht so gut hinbekommen hat. Fabian Hambüchen war schon immer mehr für sich, das war schon im Nachwuchs so.
Wie sieht's denn in der Generation nach den '87ern mit guten Turnern in Deutschland aus? Rücken Talente nach?
Es könnte sein, dass es für uns erst mal ein wenig nach unten geht. Aber in der Generation danach sind schon wieder sehr gute Leute dabei, gerade auch in Cottbus, wo wir hervorragende Trainer haben.
Sie haben einst im Alter von fünf Jahren in Schwedt mit dem Turnen begonnen. Wenn Sie einst Kinder haben - dürfen die auch turnen?
Zu Anfang gibt es nichts besseres als das Turnen. Es ist eine allumfassende Körperausbildung, von der man für immer profitiert. Man hat die Grundlagen für alle Sportarten, ich hab's ja erlebt. Skifahren beispielsweise habe ich in zwei Stunden erlernt. Ich hatte als Kind aber auch großes Glück: Mein Nachwuchstrainer in Schwedt war bestimmt einer der besten überhaupt - Manfred Paschke, der leider dieses Jahr verstorben ist. Er hat mir alles mitgegeben für meine Sportlerkarriere. Vor allem Disziplin, Anstand, Respekt und auch die Härte im Training.
Ihr einstiger Cottbuser Klubkamerad Ronny Ziesmer ist 2004 beim Training in der Olympiavorbereitung so schwer gestürzt, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Waren Sie beim Sturz dabei?
Nein, ich war zu der Zeit im Urlaub. Ich weiß aber noch, wie ich den Anruf gekriegt habe. Da gab es auch ein paar Tränen bei mir, ich hab einen Moment lang auch übers Aufhören nachgedacht. Dabei war ich als Turner nie einer, der sich allzu viele Sorgen gemacht hat. Ich bin froh, dass Ronny trotz des Unfalls so eine starke Persönlichkeit geblieben ist: Ein Vorbild, das so vielen Mut macht.
Sie wurden zweimal Vizeweltmeister im Mehrkampf, 2011 wählten Sie die Leser unserer Zeitung zum »Sportler des Jahres«. Haben Sie den Pokal noch?
Na klar, so eine Bronzeplastik, ein Mann mit Flügeln. Der steht bei mir in der Wohnung, im Gegensatz zu anderen Pokalen. Aus denen mache ich mir nicht so viel, die landen eher im Keller.
Wir suchen auch 2012 wieder die nd-Sportler des Jahres: Wer sind Ihre Favoriten 2012? Sie dürfen ruhig parteiisch sein!
Ach, wenn ich parteiisch wäre, würde ich jetzt meinen Kumpel Daniel Ziebig vom FC Energie nennen. Nein, die wahren Sporthelden sind doch die, die nie im Rampenlicht stehen und dennoch alles geben. Da die sportliche Betätigung von immer größerer Bedeutung ist - ich sage nur Prävention -, ist für mich jeder, der Sport mit Ernsthaftigkeit und Energie betreibt, ein Sportler des Jahres.
Gespräch: Jirka Grahl
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