Waffenwahnsinn mit Methode

Weltspitze: Jährlich sterben in den USA 31 000 Menschen durch Schusswaffen

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Amoklauf von Newtown entfachte eine neue Debatte über das Waffenrecht in den USA. Präsident Barack Obama forderte »bedeutsames Handeln, um weitere Tragödien wie diese zu verhindern«.

Erinnerung an einen Auftritt Barack Obamas in einer Fernsehdebatte mit Mitt Romney kurz vor der Wahl: Der inzwischen wiedergewählte Präsident erwähnte ein einziges Mal hörbar flüchtig, sichtbar ängstlich und erkennbar folgenlos »die Notwendigkeit zu strengerer Feuerwaffenkontrolle«. Das war's dann auch. Das Thema wurde nicht vertieft, war kein Anlass zu Streit und bewegte sich auf jener rituellen Ebene, auf der die in jüngerer Zeit zahlreichen Amokläufe mit Schusswaffen stets abliefen: Schock über jeden neuen Vorfall, Betonung, dass jetzt Zeit zu trauern und nicht für Politik sei - und Nichtstun bis zur nächsten Katastrophe.

Diese Kettenreaktion wird jetzt auch und gerade dem sichtlich ergriffenen Präsidenten, Vater zweier Töchter, nur wenig älter als die meisten Opfer von Newtown, vorgehalten. Die »Washington Post« schrieb, Obama habe sich in seiner TV-Rede »dem Ausmaß an Tragik emotional gewachsen gezeigt, aber der Schrecken des heutigen Unglücks erfordert, dass Obama und andere Staatsdiener sich endlich auch politisch der Herausforderung gewachsen zeigen«.

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, einer der prominentesten Befürworter schärferer Waffengesetze, sagte, Obamas bewegende Worte reichten nicht. »Das Land erwartet von ihm unverzüglich einen Gesetzentwurf an den Kongress zur Lösung dieses brennenden Problems.« Ob das Drängen auf erschwerten Zugang zu Schusswaffen im Land mit den laxesten Waffengesetzen länger als Tage vorhalten und zu konkreten Aktionen führen wird, ist nach aller Erfahrung zu bezweifeln.

Politiker beider großen Parteien haben in den letzten Jahren über das Thema nicht mal mehr ernsthaft diskutiert. Eine Zügelung der Waffenlobby, die in der gut vier Millionen Mitglieder zählenden National Rifle Association (NRA) ihren sichtbarsten, jedoch keineswegs alleinigen Ausdruck findet, wurde nie versucht. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Zugang zu Handfeuerwaffen und Schusswaffendelikten offenkundig. Auch nach Newtown weisen Experten wieder darauf hin, dass, wie der Kolumnist Gary Younge schreibt, »Amerikaner nicht anfälliger für Wahnsinn sind als jedes andere Volk. Doch sie haben mehr Schusswaffen: rund 90 auf 100 Personen. Und Bundesstaaten mit höherem Pro-Kopf-Waffenbesitz verzeichnen auch mehr Tötungsdelikte als Staaten, wo der Waffenbesitz geringer ist.«

Täglich sterben heute in den USA 85 Menschen durch Schusswaffen; mehr als doppelt so viel werden verletzt. Die »New York Times« summiert die Zahl der in den letzten 40 Jahren mit Schusswaffen im »Zivilleben« getöteten Amerikaner auf über eine Million. In Obamas Heimatstadt Chicago wurden dieses Jahr bisher mehr Bürger erschossen, als US-Soldaten in Afghanistan fielen. Jährlich wechseln im Land 4,5 Millionen Feuerwaffen den Besitzer, oft mit lächerlichen Sicherheitsvorkehrungen, nicht selten auf Flohmärkten. Eine Studie zu 23 bevölkerungsreichen, entwickelten Ländern ergab, dass 80 Prozent der in diesen Staaten registrierten Schusswaffenopfer auf die USA entfielen, »wo die Tötungsraten 6,9 mal höher sind als in den anderen Ländern«, wie die »New York Times« errechnete.

Gary Younge betont diesen Aspekt: »Waffenkontrolle ist möglich. Dafür gibt es sowohl gute Argumente als auch Aufgeschlossenheit bei Wählern. Aber es wird nicht ohne politisches Bündnis geschehen, das dafür kämpft. Wenn Amerika zweimal einen schwarzen Präsidenten wählen kann, kann es auch das schaffen.«

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