Paris und Algier für neues Kapitel

Frankreich will Beziehungen zu Algerien »versachlichen«

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Der offizielle Besuch von Präsident François Hollande in Algerien am Mittwoch und Donnerstag ist politisch brisant und wird auf beiden Seiten des Mittelmeers aufmerksam verfolgt.

Das Ende des Kolonialkrieges, das Abkommen von Evian und die Unabhängigkeitserklärung Algeriens liegen genau ein halbes Jahrhundert zurück - doch nichts ist vergessen und die Wunden sind längst noch nicht verheilt. Um darauf Rücksicht zu nehmen und möglichst wenig Menschen in Algerien wie in Frankreich zu verprellen, muss Präsident Hollande jetzt einen diplomatischen Hochseilakt vollführen und jedes seiner Worte abwägen. Und er hat Glück, dass sein algerischer Kollege Abdelaziz Bouteflika ebenso daran interessiert ist, die blutgetränkten Seiten im Geschichtsbuch umzublättern.

Beide wollen die Beziehungen von Grund auf neu gestalten und vor allem »versachlichen«. Das kommt in dem Absichtspapier zum Ausdruck, das die Präsidenten unterzeichnen werden und das »Sockel« und »Fahrplan« für die Neuausrichtung der Beziehungen bilden soll. Die einzelnen politischen und wirtschaftlichen Dossiers sollen in den nächsten Jahren in regelmäßigen Verhandlungen erörtert und zu einem einvernehmlichen Abschluss gebracht werden.

Es ist eine bemerkenswerte Geste, dass der französische Staatschef Gelegenheit haben wird, vor den Abgeordneten beider Kammern des algerischen Parlaments zu sprechen. Dabei will er auf die gemeinsame Vergangenheit beider Länder und Völker eingehen und - wie vor ihm schon Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy - das Unrecht der 130 Jahre währenden Kolonialherrschaft betonen, die mit einem grausamen Krieg, vielen Opfern und Leid auf beiden Seiten endete. In seiner Rede wird es aber weder Reuebekundungen noch Entschuldigungen geben, wie dies von verschiedenen Kräften Algeriens gefordert wird. Dafür gibt es in Frankreich keinen Konsens, weil hier nicht zuletzt mit Rücksicht auf die »Pieds noirs«, die aus Algerien vertriebenen Siedler, und die Harkis, die algerischen Kriegsfreiwilligen der Kolonialarmee, die grausame Kriegführung und die Opfer beider Seiten gegeneinander aufgerechnet werden.

Für Vorteil von Hollande ist, dass er schon aufgrund seines Alters nicht persönlich mit dem Algerienkrieg in Beziehung gebracht wird wie beispielsweise der sozialistische Expräsident François Mitterrand, der seinerzeit Innen- und Justizminister war und die Begnadigung zum Tode verurteilter FLN-Kämpfer abgelehnt hatte. Vor allem wurde es Hollande in Algerien hoch angerechnet, dass er kürzlich im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern die Schuld des Staates am Massaker an den algerischen Demonstranten vom 17 Oktober 1961 in Paris offiziell eingeräumt hat.

Jetzt wollen Hollande und Bouteflika, der seinerzeit mit 17 Jahren in den Befreiungskampf eintrat, ihren Willen bekunden, nach vorn zu schauen und gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Beide Staaten haben dabei eigene Interessen, die es aufeinander abzustimmen gilt. Frankreich ist vor allem am algerischen Markt, an Investitionsmöglichkeiten und an der langfristigen Sicherung der Öl- und Gaslieferungen interessiert. Beispielsweise erhofft sich Renault einen Schub für die festgefahrenen Verhandlungen über den Bau eines Autowerks in Oran. Außerdem geht es Paris um eine engere außenpolitische Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und bei der Terrorbekämpfung in der Sahara und im Norden Malis.

In Algerien wünscht man sich vor allem eine Lockerung der Einreisebestimmungen nach Frankreich, denn viele junge Algerier wollen hier studieren oder einige Jahre arbeiten. Selbst 50 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung und allen Arabisierungskampagnen zum Trotz ist die französische Sprache in Algerien sehr stark präsent, doch der Kulturaustausch leidet an einer engen Reglementierung durch die algerische Regierung. Auch hier erhofft man sich von dem Besuch eine Lockerung.

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