Das Christkind und der Killer

In Hannover sorgt der Serienmörder Fritz Haarmann wieder für Aufregung - als Figur auf einem Adventskalender

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Mindestens 24 Menschen hat der Serienmörder Fritz Haarmann in Hannover bestialisch umgebracht; 1925 starb er durch das Fallbeil. Noch immer sorgt der Killer für Aufregung, in diesen Wochen wieder durch den »Hannover-Adventskalender«. Der zeigt seit 2007 gezeichnete Szenen mit Prominenten aus der Stadt, lebenden und toten. Stets ist Haarmann unter ihnen und begleitet die vielen Kalenderkäufer beim Warten aufs Christkind, aktuell sogar am Türchen für den 24. Dezember.
Wo auf anderen Weihnachtskalendern süße Engelchen die Papppforte mit der »24« bewachen, weht in Niedersachsens Hauptstadt der Mantel eines Mannes mit Hut, Hitlerbart und Hackebeil: Friedrich Karl Haarmann, genannt Fritz, im Alter von 45 Jahren geköpft.

Der Exekutierte geistert immer wieder durch Niedersachsens Medien, stets mit weit mehr Zeilen als am 16. April 1925. An jenem Tag vermeldete der Hannoversche Anzeiger in einer Reihe mit Arbeitsjubiläen und Straßensperrungen einspaltig die Hinrichtung des gebürtigen Hannoveraners Haarmanns. Er hatte 24 Morde gestanden, begangen an Jungen und Männern zwischen zehn und 22 Jahren. In seiner Behausung hatte er sie im Sexualrausch durch Bisse in die Kehle oder durch Erwürgen getötet, dann zerstückelt. Den Nachbarn, die das Hacken hörten, sagte Haarmann, er besohle seine Schuhe.

Spitzel im »Milieu«

Die erste seiner grausigen Taten hatte Haarmann 1918 begangen. Die meisten nachweisbaren Morde verübte er 1923 und im folgenden Jahr. Erst als 1924 die Knochen vermisster Menschen in der Leine, dem durch die Stadt führenden Fluss, gefunden worden waren, ermittelte die Polizei den Mörder. Der Kripo war Haarmann kein Unbekannter, diente er ihr doch als Spitzel im »Milieu«, in dem er sich als vorbestrafter Kleinkrimineller gut auskannte.

So geständig er war - bestritten hat Haarmann stets den Vorwurf, seine Opfer verwurstet zu haben. Das Gerücht kam auf, weil bei ihm billig Fleisch zu haben war und er Würstchen sowie Brühe und Knochen zum Sülze-Kochen verschenkte. Schnell textete der Volksmund eine gängige Schnulze um, und schon Kinder sangen: »Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir - mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Leberwurst aus dir!«

Voll schuldfähig sei Haarmann, befanden Gutachter im Strafprozess. Eine höchst fragwürdige Aussage. Immerhin wurde Haarmann in jungen Jahren mehrmals in psychiatrische Anstalten eingewiesen, damals attestierten ihm die Fachärzte Schwachsinn. Im Dezember 1924 wurde das Todesurteil verkündet, vier Monate später vollstreckt. Filme und Bücher über Haarmann entstanden, ansonsten blieb es still um den Killer. Doch dann beendete ein Skandal die Ruhe: Das Land Niedersachsen und die Stadt kauften für das Sprengel-Museum vom Wiener Bildhauer Walter Hrdlicka (1898-2009) seinen bronzenen »Haarmann-Fries«. Er zeigt den Mörder beim Ausweiden eines Opfers. Bürgerprotest wurde laut. Hrdlicka verteidigte sein Werk. Es weise über die Einzeltat auf kollektiven Vernichtungstrieb hin, wie er sich zur NS-Zeit manifestierte. Der Fries blieb im Museumslager, ist nicht öffentlich zu sehen. Proteste verhinderten auch, dass jemand auf der Weltausstellung »Expo 2000« in Hannover eine »Haarmann-Kantine« eröffnete - mit Sülze und Blutwurst auf der Speisekarte.

Vor gut einem Jahr stellte ein Unbekannter an einem bislang nicht benannten Verbindungspfad in Hannover ein amtlich wirkendes Straßenschild auf: »Friedrich-Haarmann-Weg«. Wie immer, wenn es um »Fritze« geht, folgte Medienresonanz in Wort und Bild.

2007 wurde ein Adventskalender zum Aufreger - mit gezeichneten Darstellungen bekannter Hannoveraner, unter ihnen auch der Serienkiller. Der Kalender erwies sich als Knüller. Jahr für Jahr erscheint er seither mit neuen Bildern, aber nie ohne Haarmann. So war er zum Beispiel 2011 mit Innenminister Uwe Schünemann zu sehen, der versucht, dem Unhold das Beil zu entreißen.

Vor kurzem gab es mächtig Ärger um Haarmann: Bei Fußballspielen hatten Fans des Bundesligisten Hannover 96 ein Banner mit dem Porträt des Killers gehisst, um den Gegnern zu signalisieren: Der holt euch! Zornig reagierte 96-Präsident Martin Kind auf diese Aktionen. Noch zorniger wurde der Klubchef, als er sich selbst ein paar Wochen nach dem Banner-Zoff als gezeichnete Figur auf dem Adventskalender für 2012 entdeckte - auffällig nah bei Haarmann!

Shirts, Aufkleber, Taschen

Ein weiteres Ärgernis ruht in Göttingen, in der Universität: Haarmanns Haupt. Kein Totenschädel, sondern der ganze Kopf schwimmt dort in einer konservierenden Flüssigkeit. Im Sommer war im rechtsmedizinischen Institut der Uni diskutiert worden, ob das Präparat weiter verwahrt oder aber aus ethischen Gründen bestattet werden soll. Noch immer ist nichts entschieden. Ab und zu fragen Neugierige, ob sie den Kopf angucken dürfen. Nein, heißt es dann.

All dies zeigt, dass von Haarmann offenbar eine Faszination des Grauens, des Bösen ausgeht. Sie treibt merkwürdige Blüten: T-Shirts, Aufkleber und Taschen mit der Aussage »Ich liebe Haarmann« sind in einem bekannten Internet-Auktionshaus zu haben. Auch Shirts mit dem Killer-Konterfei und dem Spruch »Haarmanns Delikatessen - lecker, lecker« werden feilgeboten.

Vor der Exekution hatte sich Haarmann vergeblich gewünscht, vor laufenden Kameras öffentlich auf einem großen Marktplatz geköpft zu werden und begründete das stolz: »Ich bin doch ganz berühmt.« Er sollte recht behalten: Wohl über keinen anderen Serienmörder wird auch noch Jahrzehnte nach seiner Hinrichtung so viel geredet und geschrieben wie über Haarmann. Zum Beispiel in Hannover zur Adventszeit - alle Jahre wieder.

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