Schweiß und Nerven

»Sportstücke« - ein Festival der Gesellschaft für Neue Musik

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Der größte Kontrast zwischen Sport und Musik ist der des Sinns, den sie bilden. Und die größte Gemeinsamkeit das Üben, Trainieren. In beiden Sparten, von Massen oder begabten Einzelnen ausgeübt, kosten die Übungen und Präsentationen viel Schweiß und Nerven - den Schachspieler so sehr wie den Schlagzeuger, der mit Händen/Fingern und Stöcken ähnlich wie dieser Felder (Felle) und Systeme bedient. Beider Resultate können mäßige bis hohe Leistungen sein. Parallel geartet scheinen auch die Denkstrukturen, wenngleich die Ziele beider Sphären denkbar unterschiedlich sind, sich teils aber auch annähern. Neue Musik ist heute oft nichts weiter als die Vorführung technisch-sportiver Fertigkeiten - bar jeden Sinns und Ausdrucks.

Die Großaufnahme schmerzverzerrter Züge einer Marathonläuferin kurz vor dem Ziel weiß da ungleich mehr zu sagen. Die Mühen (und Manipulationen) des Sports zu fotografieren, kann allemal Kunst sein. Der ganze Komplex umspannt ein enorm weites Feld und erfasst alle Sportarten und sämtliche Künste. Ein Theater ohne die Entladung physischer Kräfte ist heute fast nicht mehr denkbar. Die jungen Spunde dort müssen elastisch, kräftig, eben sportlich sein. Wenn im Finale von Verdis »Falstaff« das gesamte Ensemble im Höllentempo nach vorne rennt und plötzlich ruckartig erstarrt (wie beim Foto, das die Filmszene anhält), so raubt das vielleicht mehr Atem als ein olympisches 100-Meter-Finale.

Sportiv im Kleinen ist der die Trompete schräg blasende Clown, wenn er in der Arena mit der Ente um die Wette rennt. Den boxenden Chaplin in »City Lights« zu erleben, ist überhaupt das Höchste, das Kunst und Sport der Lust zu lachen bescheren können. Chagall hat die sportlichen Kräfte der Musik traumhaft in die bildende Kunst eingeführt. Seine Fiddler segeln mühelos über Dächer und überwältigen federleicht Holzlattenzäune.

Neue Musik und Sport. Was ist das Interessante an diesem Zusammenhang? Die Berliner Gesellschaft für Neue Musik widmete ihm ein ganzes Festival: »Sportstücke - Neue Musik im Dialog« mit sehr unterschiedlichen Themen, Konzerttypen, Veranstaltungsorten (auch Sportstätten wie dem Sportforum) und Gesprächsformen.

Das vorletzte Konzert im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses, leider mäßig besucht, verband drei musikalischen Darbietungen mit einer Podiumsdiskussion, besetzt mit Fachleuten beider Sparten, moderiert von Komponist Markus Bongartz und Harfenistin Katharina Hanstedt. Außer Maria Schuppert, Leiterin des Zentrums für Musikergesundheit der Hochschule für Musik Detmold, hatten sie leider nicht allzu viel beizusteuern. Dirk Büsch, Trainingswissenschaftler an der Uni Leipzig, wusste tatsächlich zu berichten, dass es im Leistungsbereich darum gehe, dem Turner noch die vierte Pirouette um die eigene Achse abzuverlangen und in klingende Medaillenmünze zu verwandeln.

Alle, so schien es, fanden die gebotenen Stücke sportlich, was immer das sei, voran »Dmaathen« für Oboe und Schlagzeug von Iannis Xenakis, wahrlich ein sportives Opus, allein schon, weil die rotschöpfige Oboistin Birgit Schmieder, anerkannt in der Szene, ein schwarz-gelb-kariertes Kleid trug, das dem Bilde eines Schachbretts glich. Hermann Keller, dessen »Leichtes Metall - Studie für 2 Hi-Hats« kam, von Martin Krause überlegen musiziert, trat auch als Diskutant auf. Die Bewegungen des Musikers koordinieren, integrieren, kontrollieren zu helfen, sei richtig. Dazu käme allerdings der Zusammenhang von Bewegung und Atmung. Über diese würde nicht minder Beweglichkeit erzeugt.

Das letzte Stück, Klaviermusik IV von Paul-Heinz Dittrich, bewährt umgesetzt vom hochbegabten Frank Gutschmidt. passte durchaus ins Thema. Als ein Stück, das Gedanken, Atmosphärisches zärtlichsten wie heftigsten Ausdrucks formuliert, machte es den größten Kontrast zum Sport sinnfällig.

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