Indien in Paris
Emmerich Kálmáns Exotik-Operette »Die Bajadere« konzertant in der Komischen Oper
Indien war vor hundert Jahren hierzulande große Mode. Die ersten Yogis kamen in die westliche Welt; europäische Gelehrte vertieften sich in alte Sanskrit-Schriften. Und das Massenpublikum ergötzte sich an Stummfilmen à la »Der Tiger von Eschnapur«. Auf diesen Zug sprang auch der Komponist Emmerich Kálmán, dessen 1921 uraufgeführte Operette »Die Bajadere« von einem indischen Prinzen handelt. Dieser ist in Paris auf Brautschau unterwegs und verliebt sich in eine Sängerin, die gerade in der Rolle einer Bajadere, einer indischen Tempeltänzerin, Furore macht. Die Komische Oper hatte das Stück für eine konzertante Aufführung am 23. Dezember ausgegraben.
Warum gerade die »Bajadere«? Das verrät der Intendant Barrie Kosky, der kurz vor Auftakt auf die Bühne springt: Erstens sei diese Operette auch an einem 23. Dezember uraufgeführt worden. Zweitens wurde sie bereits zwei Monate später vom Metropol-Theater, dem Vorgänger der Komischen Oper, nach Berlin geholt. Und drittens feiert die Komische Oper ihren 65. Geburtstag: Sie wurde am 23. Dezember 1947 mit der »Fledermaus«, also ebenfalls einer Operette, eröffnet.
Kálmán gilt neben Franz Lehár und Paul Lincke als wichtigster Vertreter der Silbernen Operettenära. Der Budapester Jude zog 1908 nach Wien, wo er vor allem mit den feurigen Rhythmen seiner »Csárdásfürstin« Erfolge feierte. 1938 ging er ins Exil nach Amerika.
Seine »Bajadere« ist nicht ganz zu unrecht in der Versenkung verschwunden. Zweifelsohne, dem Komponisten flossen die zündenden Melodien reihenweise aus der Feder. Bei den Zeitgenossen sorgten vor allem die brandneuen Tänze aus Amerika für Begeisterung: vom Foxtrott über Shimmy bis zu jazzigen Synkopen. Gleichwohl trägt die Partitur die Handschrift eines professionellen Routiniers, der sich damit begnügt, die Schablonen des Genres zu bedienen. Mal greift Kálmán zu den Bausteinen des Wiener Walzers, für den Exotik-Faktor stibitzt er bei Debussy und Puccini. Barrie Kosky spricht denn auch von »zehn Komponisten zum Preis von einem«.
Die Figuren sind schematisch ins ernste oder komische Fach gepackt. Der Flirt zwischen dem Prinzen und der Bajadere ist alles andere als psychologisch plausibel gestaltet - zumal die beiden erst mittels der Modemethode Hypnose zueinander finden. Überzeugender gerät die komische Fraktion: ein geschäftstüchtiger Schokoladenfabrikant und seine luxusversessene Gattin Marietta samt ihrem Verehrer, der sich kraftstrotzend »Napoleon« nennt. Die schief konstruierte Geschichte geriete ziemlich zäh, hätte man nicht Dominique Horwitz eingeladen. Der gibt das Theater-Faktotum Pimprinette, den Anführer der Pariser Claqueure, mit straffem, zähnebleckendem Dauergrinsen und einem parodistischen Akzent in Frangsösiiiesch.
Das Orchester gewinnt nach dem etwas schwerfälligen Start rasch an Schwung und schwebender Leichtigkeit. Den Taktstock hält der Österreicher Stefan Soltesz, der zuweilen vergnügt auf dem Podest tänzelt.
Auch die Sänger haben jede Menge Spaß. Nicht satt hören konnte man sich an Mirka Wagner (Marietta) und ihrem geschmeidig-koketten Sopran. Als Napoleon zeigte Stephan Boving einen samtweich geführten, wenn auch nicht allzu kräftigen Tenor. Ein Hingucker war zudem Tom Erik Lie als Chocolatier, der mit seinem lüsternen Hüftschwung für Begeisterung im Saal sorgte: »Fräulein bitte, woll´n Sie Shimmy tanzen. Shimmy ist der Clou vom Ganzen.«
Eher ausdrucksblass wirkten dagegen Erika Roos (Bajadere) und Daniel Brenna (Prinz), bei dem lediglich die zitternde Feder auf dem gelben Turban innere Bewegung anzeigte. Bei beiden haperte es zudem auch an der Textverständlichkeit.
Der Mitschnitt dieser einmaligen Aufführung läuft am 29. Dezember auf Deutschlandradio Kultur.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!