Ossietzky und die "Protestiermaschine": kurzer Nachtrag zur Syrien-Debatte

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 2 Min.
Vor wenigen Tagen erschienen hier im Blog einige Überlegungen zur Diskussion um Syrien, die Haltung und Debatten der hiesigen Linken sowie zu Adopt a Revolution und den Aufruf "Freiheit braucht Beistand". Ein Leser hat sich daraufhin mit dem Hinweis auf einen Brief Carl von Ossietzkys an Kurt Tucholsky gemeldet - in dem es um Protest per Unterschrift geht. Das Schreiben datiert vom 8. März 1932 und ist in den Sämtlichen Schriften, Bd. VII, S. 412 sowie hier im Projekt Gutenberg veröffentlicht. Daraus an dieser Stelle ein Auszug - als Anstoß, die Diskussion fortzusetzen:

»(...) Völlig irrsinnig dagegen halte ich es, wenn zwischen zwei Mächten ein Konflikt ausgebrochen ist resp. auszubrechen droht und sich dann ein paar Laute und Korporationen hinsetzen und dagegen Verwahrung einlegen. Wenn sich ein einzelner oder auch eine Organisation in weltpolitische Händel hineinmischt, dann muß es mit sorgfältiger Begründung geschehen oder es muß dabei ein Pathos aufblitzen, das überzeugend wirkt. Aber diese schematischen Einsprüche im Telegrammstil sieht kein Mensch an. Außerdem ist auch mindestens jedem Menschen des öffentlichen Lebens das Schema der Unterschriftengarnitur vertraut.

Ich bin nicht der Meinung, daß diesmal so zu argumentieren wäre: wir kennen die Dinge nicht, und deshalb mischen wir uns nicht ein, sondern: weil wir die Dinge kennen, sind wir von der Wirkungslosigkeit solcher Proteste tief überzeugt. Diese Proteste sind kein politischer Kampf, sondern ein mit Recht mißachtetes Nebenbei. Ich würde es für gut und nützlich halten, wenn Sie dergleichen gelegentlich schrieben. Im übrigen bin ich der Meinung, daß Sie sich um diese Sache nicht weiter kümmern sollen. Auch wäre zu sagen, daß man nicht immer Leute um Unterschriften anschnorren soll, die man gestern noch als Könige aller Sünder verworfen hat und die man bereit ist, morgen wieder irgendwo hinzutreten. Das ist unwürdig und für den Unterschriftensammler ebensowenig ehrend wie für denjenigen, der sich breitschlagen läßt (...).«
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