Wo Römer seit 2500 Jahren auftanken

Die Albaner Berge sind das Naherholungsgebiet der Ewigen Stadt

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Ewige Stadt zu Füßen der Villa Tuscolana in den Albaner Bergen oberhalb der Stadt Frascati.
Die Ewige Stadt zu Füßen der Villa Tuscolana in den Albaner Bergen oberhalb der Stadt Frascati.

Wenn Römer mal raus wollen aus ihrer ebenso urban grandiosen wie urban gigantisch überfluteten Stadt, dann fahren sie in die etwa 20 Kilometer südöstlich gelegenen Albaner Berge. Eine, weil nämlich ebenfalls Reste eines vulkanischen Ringgebirges, der deutschen Eifel ähnlichen Gegend. Bewaldete Hügel, zwei imposante Kraterseen, an und um deren Ränder pittoreske Dörfer. Man kann hier gut wandern, muss aber nicht. Römische Familienausflüge enden üblicherweise nach ein paar Hundert Schritten in einem Restaurant. »Nur Natur ist ein zu großer Schock für die Seele«, scherzt Ademaro Marcolini, der mit Frau Paola und Töchtern im Städtchen Nemi eingekehrt ist. Die beiden Kleinen scheinen dem mit vollen Backen (Walderdbeeren mit Sahne, für die Nemi berühmt ist!) zuzustimmen, seine Frau indes lächelt eher gequält.

Doch solche Episoden machen (wenn überhaupt!) touristisch gesehen nicht den eigentlichen Unterschied zur erwähnten Eifel, sondern dies: Die Albaner Berge sind bereits seit 2500 Jahren Naherholungsgebiet! Also seit einer Zeit, in der in den deutschen Landstrichen beiderseits des Rheins die Germanen noch nicht einmal faul auf den liedbekannten Bärenhäuten lagen. Die latinische Vulkanlandschaft indes avancierte schon bald nach Gründung der Römischen Republik (um 500 v. u. Z.) zum Ort der Besinnung und Erholung. Natürlich nicht für d i e Römer, sondern für deren Nobilität. Die Claudii oder Cornelii, Metelli oder Iulii bauten hier ihre Villen, installierten ihre heidnischen Heiligtümer. Die einen mauserten sich später zu Schlösschen und Schlössern, die anderen wurden zu christlichen Tempeln, also zu Kirchlein und Kirchen umgewidmet.

Der rote Faden, der sich dergestalt bis ins Heute zieht: Eine aktuelle römische Nobilität, Signore Berlusconi, feierte hier einige seiner Bunga-Bunga-Partys, und kein Geringerer als der Stellvertreter Gottes, also der Papst, hat in Castel Gandolfo bekanntlich seinen Sommersitz. Doch es ist wahrlich nicht das schlechteste Ergebnis demokratischer Entwicklung, dass neben solchen Herrschaften längst auch die einst Plebejer genannten Schichten massenhaft die Albaner Berge durchstreifen und bevölkern.

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Natürlich kommen sie nicht überall hin und rein. So beispielsweise nicht in die Gärten von Castel Gandolfo. Die 55 Hektar gehören zur dortigen Sommerresidenz des Papstes. Sie seien die wohl diskreteste Landschaft Italiens, meint Alexander Smoltczyk, einer der beim Vatikan akkreditierten deutschen Journalisten. Die gesamte Anlage liegt auf den Ruinen des Landsitzes von Kaiser Domitian (51-96 u. Z.). Es gebe dort, so Smoltczyk, nicht nur gehegte und gepflegte Zedern- und Pinienalleen, sondern auch viele antike Vasen, Säulenstümpfe, Kapitäle und Statuen. An die hätte noch nie ein Archäologe eine Hinweistafel oder ein städtischer Bediensteter ein Absperrgitter montiert.

Doch schön für Aug' und Seele ist es eigentlich überall in den Albaner Bergen, es müssen durchaus nicht diese elysischen Gärten von Castell Gandolfo sein. Der Ort thront direkt über dem Lago Albano, dem See der Morgendämmerung, der auch den Bergen den Namen gab. »Hier soll der Trojaflüchtling Ascanius um 1100 vor Christi die Stadt Alba Longa gegründet haben«, erzählt Elena Ruggeri, die Englisch- und Französischlehrerin ist und an Wochenenden historische Spaziergänge begleitet. »Und das war quasi die Mutterstadt Roms. Denn hierher stammt laut Mythologie die Priesterin Rhea Silvia, die Mutter der Zwillinge und späteren sagenhaften Romgründer Romulus und Remus.« Rund 3000 Jahre später erlebte der Lago Albano eine antike Renaissance besonderer Art. Auf ihm fanden 1960 die olympischen Ruder- und Kanuwettbewerbe statt (übrigens mit vier Goldmedaillen für die damals startende gesamtdeutsche Mannschaft).

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Traditionsbewusstsein und Traditionspflege allerorten in den Albaner Bergen. Im Städtchen Genzano bedient Bäcker Sergio noch rasch eine Stammkundin, um sich dann anhand seiner Auslagen Zeit für einen Ausflug in die Brot-, Brötchen- und Kuchengeschichte zu nehmen. Als er beim Verkosten von Ciambelline Vino Rosso unser wachsendes Entzücken wahrnimmt, ist er auch schnell dabei, die deutschen Kunden in die Backstube zu lotsen. Der kleine Maschinenpark stammt aus den 1950er Jahren, wohingegen der Ursprung der heute noch üblichen Handarbeit kaum zu datieren ist. Was darauf hindeutet, dass die Menschen hier wirklich Geschmack haben. Einen speziellen Eindruck davon bekommt man auch auf dem zentralen Parkplatz von Genzano. Dort hat gerade eine kleine italienische Oldtimerkarawane haltgemacht. Legendär Stilprägendes und zeitlos Elegantes zwischen Fiat 1100 und Alpha Romeo Nuova Super 1300. Und die Fans aller Jahrgänge scheinen sichtlich auch genau das, nicht nur PS-Zahlen und Getriebevorzüge, zu goutieren.

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Ein paar Kilometer weiter ist das Städtchen Rocca di Papa einem Schwalbennest gleich an den Vulkanberg geklebt. Kleintransporte werden immer noch mit Eselskraft erledigt. In einem der Häuser lebte 35 Jahre lang die deutsche Schriftstellerin Luise Rinser. Italien allgemein und die Albaner Berge konkret hatte sie zu ihrem Lebensmittelpunkt gewählt, weil hier, wie sie einmal bekannte, »das Austragen von Leid und Leidenschaft noch nicht zu einem Anachronismus geworden ist«.

Davon kann man sich in den Albaner Bergen auch sehr gut in den Klöstern überzeugen. Etwa in dem von Santa Maria di Grottaferrata. Es ist noch vor der west-östlichen Kirchenspaltung (1054) gegründet worden, und bis heute pflegen die Mönche, obwohl das Kloster zur römisch-katholischen Kirche gehört, den byzantinischen Ritus. Dass solchen Priestern eigentlich sogar freigestellt ist, zu heiraten, erscheint (bei nämlich nur 30 Kilometer Luftlinie zum Heiligen Stuhl in Rom!) besonders pikant.

In der Stadt Frascati, von der es eine schnelle Regionalbahn nach Rom gibt (nur 30 Minuten), wird man trotz Villa Aldobrandini oder Villa Falconeri, trotz barocken Kirchenprunks von Peters- bis Jesuskirche schnell von der jüngeren Geschichte eingeholt. Hier befand sich im Zweiten Weltkrieg das Hauptquartier des nazideutschen Generalfeldmarschalls Albert Kesselring. Alliierte Luftangriffe forderten auch unter der Zivilbevölkerung viele Opfer und ließen keinen Stein auf dem anderen. Kesselring selbst wurde wegen seiner Geisel-Massenmordbefehle von einem britischen Militärgericht erst zum Tode verurteilt, dann stufenweise bis zur Haftentlassung 1952 begnadigt. 1960 starb er, 75-jährig, gut umsorgt bei einer Kur in Bad Nauheim. Zuvor fungierte er in der BRD als Chef des Stahlhelm-Bundes. Von Alt- und Neu-Nazis in Deutschland wie in Italien wird er bis heute als Hitler loyaler »Soldat bis zum letzten Tag« verehrt. Worauf der junge Stadtführer Lorenzo Fatelli mehr am Rande, aber durchaus dezidiert hinweist.

  • Infos: Dertour, Tel.: (069) 95 88- 59 28, www.dertour.de, www.meiers-weltreisen.de, www.adacreisen.de
  • Literatur: Christoph Henning, Latium - Das Land um Rom, DuMont, Köln, 2002; Alexander Smoltczyk, Vatikanistan - Entdeckungsreise durch den kleinesten Staat der Welt, Heyne, München, 2008
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